Casino-Fieber in den Reservaten

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Bei den Ureinwohnern Nordamerikas geht es rasant bergauf - nicht nur, aber vor allem wegen des Glückspiels.

Endlich haben wir Geld und können in die Zukunft unserer Kinder investieren", sagt der Fremdenführer Orlando Antonio. Orlando ist Acoma-Indianer, Mitglied jenes Stammes in New Mexico, der als der älteste sesshafte indigene Stamm Nordamerikas gilt. Sein Job ist es, den Touristen sein Heimatdorf, eine über tausend Jahre alte Siedlung auf einem 120 Meter hohen Hochplateau in der Wüste, zu zeigen und ihnen die schmerzhafte und zugleich faszinierende Geschichte seines Volkes näher zu bringen.

Mit gleichtönigem Sprechgesang klagt er über die Schmerzen, die sie "im Namen Gottes" und wegen des Goldrausches der Conquistadores erlitten haben. Aber jetzt ist alles anders. Das Geld von dem Orlando spricht und das das Leben der Acoma vollkommen verändert hat, kommt vom Glücksspiel. Von jenem kleinen Casino, das die Acoma seit fast 25 Jahren führen. Begonnen hatte man Anfang der 1980er Jahre mit Bingo. Das war im 1,5 Quadratkilometer großen Reservat ein Hit, gab es doch sonst am Abend kaum Unterhaltungsmöglichkeiten.

"Nehmen ihr Land zurück"

Als 1988 der "Indian Gaming Regulatory Act" den souveränen Indianer-Regierungen in den USA erlaubte, Casinos zu betreiben, war der Grundstein zur wirtschaftlichen Prosperität im Acoma Reservat gelegt. Man expandierte, wenn auch langsam, das Casino wurde vergrößert, ein Hotel und eine moderne Raststätte für LKW-Fahrer gebaut. Auch die Infrastruktur im vorher armen Reservat, in dem heute 6000 Menschen leben, wurde verbessert, eine neue Schule und ein Krankenhaus errichtet. Anfang 2006 wurde das "Sky City Kulturzentrum" und das "Haak'u Museum", das die fast 2000 Jahre alte Acoma-Kulur zeigt, eröffnet. Ein architektonisches Schmuckkästchen mitten in der Wüste.

"Die Native Americans nehmen ihr Land zurück. Schritt für Schritt, Casino für Casino", sagt Phil Robinson und lacht. Er ist PR-Chef der "Acoma Business Enterprises", dem Mutterunternehmen aller Acoma-Geschäftszweige. Robinson ist "Weißer" und seit Jahren im Casino-Geschäft. Er sei total im Stress, seufzt er, soviel sei zu tun. "Die Acoma sind außergewöhnliche Unternehmer und wollen expandieren."

Der Profit des Casinos wird nicht, wie bei vielen anderen Stämmen unter den einzelnen Mitgliedern verteilt, sondern weiterinvestiert. Man plant ein Event-Zentrum, ein Einkaufszentrum und sogar einen Golfplatz.

Die Acoma haben sich innerhalb der letzten Jahre zum größten Unternehmer im sonst von Arbeitslosigkeit geplagten Landkreis gemausert. 75 Prozent der Angestellten sind Acoma, der Rest "Bleichgesichter" oder Mitglieder anderer Stämme. Wie Evangie Yazzie, eine 45 Jahre alte Navaho, die seit zwei Jahren als Zimmermädchen im Sky City Hotel arbeitet. "Ich bin sehr zufrieden hier", sagt sie schüchtern. Sie muss viel arbeiten, hat dafür aber auch endlich eine Krankenversicherung.

562 Stämme, 240 Casinos

Der Erfolg der Acoma aus New Mexico ist nur ein Beispiel für den wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg der in den USA anerkannten 562 indigenen Stämme mit zweieinhalb Millionen Menschen. Das Glücksspiel spielt dabei generell eine wichtige Rolle. Von den Ureinwohnern werden 406 Spielstätten betrieben, davon 240 Casinos. 15 Jahre nach Legalisierung der Spielbanken in mehreren US-Bundesstaaten bemerken viele Stämme nun sehr stark die ersten positiven Effekte daraus.

Für Professor Joseph Kalt vom Institut für American Indian Economic Development an der Harvard Universität hat sich die sozio-ökonomische Situation der amerikanischen Ureinwohner auch eindeutig gebessert - aber nicht nur wegen der Casino-Betriebe (siehe Interview unten).

Mehr Zukunft, mehr Kinder

Dennoch: Das Glücksspiel hat in den Reservaten der Ureinwohner mehr als eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen und 2005 Erlöse von 22,6 Milliarden Dollar gebracht. Über neun Milliarden davon fließen in Form von Steuern und Abgaben in die Staatskasse. Das inflationsbereinigte Pro-Kopf-Einkommen der in den Reservaten lebenden Bevölkerung wuchs zwischen 1990 und 2000 um ein Drittel. Die durchschnittliche Steigerung der Haushaltseinkommen der indigenen Bevölkerung war somit sechsmal höher als jenes der übrigen Amerikaner. Die Arbeitslosigkeit ist um fünf Prozent in den Reservaten mit Casinos und um zweieinhalb Prozent bei jenen ohne Spielbetriebe gesunken, die Armutsrate sogar bis zu zehn Prozent. Und was die Stammesoberhäupter am meisten freut: Die Indio-Bevölkerung ist in den Reservaten in den letzten zehn Jahren um ein Viertel gewachsen. Obwohl die Geldzuwendungen öffentlicher Institutionen in den letzten zwanzig Jahren stagnierten.

Die Mehrheit der in Reservaten lebenden Familien haben nun warmes Wasser und funktionierende Toiletten. Immer mehr Kinder der Ureinwohner gehen auf höhere Schulen und schließen diese auch ab. Verbindliche gesetzliche Rahmenbedingungen wurden geschaffen und die Exekutive gestärkt. Neu errichtete Museen und Kulturzentren sollen nicht nur die Traditionen bewahren helfen, sondern auch Touristen anlocken. Die Stämme haben erkannt, dass sie von der steigenden Nachfrage nach kulturell und historisch außergewöhnlichen Angeboten profitieren können.

Niedrigste Lebenserwartung

Doch trotz dieser guten Nachrichten und der Aufbruchsstimmung in den Reservaten: Die 200 Jahre dauernde weiße Vorherrschaft, die Verfolgungen und Genozide und die daraus resultierenden und immer noch spürbaren sozialen und wirtschaftlichen Defizite sind nicht leicht wett zu machen. Die Native Americans haben immer noch mit gravierenden Problemen zu kämpfen, denen andere Minderheiten in den USA nicht ausgesetzt sind.

Die Stämme sind mit hoher Kindersterblichkeit, Selbstmordrate, Jugendkriminalität, Alkoholismus, Tuberkulose und vor allem Diabetes konfrontiert. Laut der US-Gesundheitsbehörde haben die indigenen Völker Nordamerikas, neben Haitianern, die niedrigste Lebenserwartung aller Menschen in der westlichen Hemisphäre. Obwohl die Arbeitslosen-und Armutsrate in den Reservaten drastisch reduziert werden konnten, sind Indio-Familien immer noch dreimal öfter von Armut betroffen als alle anderen Amerikaner. Das Haushaltseinkommen liegt bei 25.500 Dollar im Jahr. Im Gegensatz zu den restlichen US-Haushalten, die durchschnittlich 42.000 Dollar zur Verfügung haben. Bei gleich bleibendem Einkommenzuwachs braucht die indigene Bevölkerung weitere 55 Jahre, um die Einkommensschere zu schließen.

Wieder mit Stolz und Würde

Nach Dekaden verfehlter Armutspolitik und halbherziger Wirtschaftshilfe aus Washington, haben jedoch die Spielcasinos im "Indian Country" nicht nur die Kassen der Stämme langsam gefüllt, sondern den Ureinwohnern auch ihren Stolz und ihre Würde wiedergegeben. Aus Almosenempfänger sind Steuerzahler geworden. Ein aktuelles Beispiel für die Emanzipation der indigenen Völker Nordamerikas ist die Ankündigung des Stammes der Seminolen aus Florida, das berühmte Hard Rock Café zu übernehmen. Dieser erste Kauf eines großen internationalen Unternehmens durch Indio-Amerikaner ist ein weiterer Meilenstein in der wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung der nordamerikanischen Stämme - und die Traditionsmarke in indigenem Besitz, das ist, besonders in den USA, schon was.

Die Autorin ist freie Journalistin in New York.

Weitere Info: www.skycitycasino.com

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