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Die Wahrheit über van Meegeren

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Retour ä la Verite. Deux authentiques Vermeer. Von Jean Decoen. Editions Adrien Donker S. A., Rotterdam. 204 Seiten und 201 meist ganzseitige Bildtafeln.

Das vorliegende Buch des belgischen Kunsthistorikers und Restaurateurs Jean Decoen rollt die Vorgeschichte der bekannten Affäre um den Bilderfälscher van Meegeren nochmals auf und will beweisen, daß Jean Vermeer van Delft und nicht sein genialer Fälscher Han van Meegeren Urheber der beiden Bilder „Die Jünger von Emmaus“ und „Das Abendmahl“ sei.

Im Jahre 1937 teilte van Meegeren der erstaunten Kunstwelt mit, daß er einen neuen Vermeer, „Die Jünger von Emmaus“ entdeckt habe. Die holländischen Kunstverständigen erklärten dieses Bild für echt. 1941 entdeckt van Meegeren abermals einen Vermeer: „Das letzte Abendmahl“, und wieder wurde das Bild für echt befunden. 1942 wurde ein Christuskopf von van Meegeren „entdeckt“, 1943 „Christus und die Ehebrecherin“, 1944 „Die Fußwaschung“ und schließlich „Isaak segnet Jakob“. Und jedes einzelne dieser Bilder wurde nach genauester Untersuchung für echt erklärt.

Nach der Befreiung Hollands wurde van Meegeren der Prozeß gemacht, weil er es verstanden hatte, die vier letzten von ihm „entdeckten“ Bilder Göring in die Hand zu spielen. Van Meegeren führte zu seiner Verteidigung an, daß er nicht um des Geldes willen kollaboriert hätte, sondern den Deutschen im Gegenteil geschadet habe: die von ihm an Göring weitergeleiteten Bilder seien keine echten Vermeers, sondern Fälschungen eigener Hand. Als über diese Angaben Zweifel laut wurden, machte sich van Meegeren erbötig, unter Beaufsichtigung einen neuen „Vermeer“ zu malen und vollendete tatsächlich sein letztes Bild „Jesus und die Schriftgelehrten im Tempel“; die holländischen Kunsthistoriker bezeichneten es als ein Meisterwerk, das von einem echten Vermeer nicht zu unterscheiden sei. Auf Grund dieses Gutachtens wurde die politische Seite der gegen van Meegeren erhobenen Anklage fallen gelassen und dieser nur wegen Irreführung des Museums von Amsterdam, dem er „Die Jünger von Emmaus“ verkauft hatte, zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, vor dessen Ablauf er an Lungenentzündung starb.

Schon vor dem Tod van Meegerens hatte Jean Decoen die Ansicht vertreten, daß die „Jünger von Emmaus“ und „Das letzte Abendmahl“ nicht Fälschungen, sondern authentische Bilder Jan Vermeers seien. Diese Behauptung unterstützte er durch eine Fülle von Beweismaterial vorwiegend technischer Natur, welches in dem vorliegenden Buch aus naheliegenden Gründen nicht auf seine Stichhältigkeit hin geprüft werden kann, unterstreicht die völlige Verschiedenheit — in allen Belangen ihrer handwerklichen Seite — der erstgenannten Bilder von den fünf anderen, unbedingt als

Fälschungen anzusprechenden und erklärt die im gegenteiligen Sinn abgefaßte Expertise der holländischen Kunstverständigen — besonders in bezug auf das im Gefängnis fertiggestellte Bild — mit der Angst vor einer neuerlichen Blamage. Sind auch hier die Beweisführungen des Autors allzu offensichtlich von der Rivalität mit seinen holländischen Kollegen getrübt, so erscheint doch der zweite Teil seines Buches von hohem künstlerischen und kunstkritischen Interesse: Decoen beweist nämlich, und dies mit besonderem Feingefühl, wie die Fälschungen van Meegerens zustande kamen.

Kein Bild van Meegerens (von den beiden umstrittenen Werken abgesehen) ist in der Komposition original; jede einzelne seiner Fälschungen ist ein Gefäß, welches die verschiedensten Elemente der alten Bilder Vermeers beinhaltet; van Meegeren kennt keine Kopfstellung, kein Händefalten, keine Blickrichtung und keine Draperie, die nicht in irgendeinem echten Vermeer wiederzufinden wäre und die er nach- oder umkomponiert hätte. Es ist erstaunlich, aber nicht zu leugnen, daß van Meegeren seine Bilder aus denjenigen Vermeers geradezu zusammengesetzt hat, ja, daß sich seine Fälschungen untereinander nur durch die Art dieser Zusammensetzung unterscheiden und durch die dem Thema angepaßte Nuancierung der Farbtöne.

Allerdings: diese Theorie, welche durch das ganz ausgezeichnete Bildmaterial im vorliegenden Werk erhärtet wird, schließt „Die Jünger von Emmaus“ und „Das letzte Abendmahl“ aus — denn diese beinhalten ebenfalls Elemente von van Meegerens späteren Bildern —, aber dies ist für Decoen nur ein Beweis mehr dafür, daß diese beiden Gemälde, nicht Werke van Meegerens, sondern Jan Vermeer van Delfts sind. Zu lösen wäre freilich noch die Frage, wie es van Meegeren gelang, sich in den Besitz dieser beiden echten Vermeer zu bringen (wenn sie echt sein sollten), wie und wo er sie entdeckte und warum auch sie einige Details aufweisen, die in Vermeers frühen Bildern enthalten sind: aber über diese Fragen und Probleme (wie übrigens über das menschliche Problem van Meegerens selbst) geht Decoen mit einem Lächeln hinweg — sie existieren für ihn nicht oder nur insofern, als sie ihm dabei behilflich sind, durch den Beweis der Authentizität der „Jünger von Emmaus“ und des „Letzten Abendmahls“ seinen holländischen Kollegen eine Niederlage zu bereiten. „Retour ä la Verite“, Rückkehr zur Wahrheit, heißt dieses Buch zu Unrecht, denn es scheint hier Decoen weniger um die Wahrheit als Ressentiments zu gehen. Es ist aber dennoch die faszinierende Schilderung der unglaublichsten Fälschungsaffäre, die seit Menschengedenken die Kunstwelt bewegte.

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