6767445-1968_41_01.jpg
Digital In Arbeit

Nekrolog der Reform

Werbung
Werbung
Werbung

Der „Vater des neuen Wirtschaftsmodells“, der tschechoslowakische Stellvertretende Ministerpräsident Ota Sik, mußte auf Sowjetwunsch abgelöst werden. Sik blieb in Belgrad und hat sein Exilhauptquartier vorläufig in der dortigen tschechoslowakischen Botschaft aufgeschlagen. Seine Vergangenheit prädestiniert ihn dazu, die Führung der antisowjetischen, kommunistischen Emigranten der KPC in der freien Welt zu übernehmen.

Siks Absetzung bedeutet auch ein Begräbnis 3. Klasse für das „Neue Wirtschaftsmodell“. Es ist noch unklar, ob die Okkupanten ein eigenes „Modell“ für die Strukturwandlung der tschechoslowakischen Wirtschaft einfübren wollen, oder ob sie durch Improvisation die Ausbeutung des Landes vorantreiben möchten.

Ota Sik war ein profilierter Protagonist der sozialistischen Marktwirtschaft. Sein Plan war, einerseits aus der CSSR einen gleichwertigen und gleichberechtigten Partner gegenüber den entwickelten westlichen Industrieländern zu machen, anderseits die Konvertibilität der tschechoslowakischen Währung zu erreichen und auf lange Sicht zu Sichern. Dem schönen Traum hat die Sowjetintervention ein jähes Ende bereitet. Der nächste Schritt heißt „Re-Integration in den COMECON“.

Aus dem Nekrolog des „Neuen Wirtschaftsmodells“ dürften Siks Er Vergangenheit und Werdegang nicht fehlen. Er wurde im Jahre 1919 geboren. Als 21 jähriger Mann kam er ins Konzentrationslager Mauthausen. Nach dem Krieg absolvierte Ota Sik die Prager Hochschule für Politische und Sozialwissenschaften sowie die Parteiakademie, wo er dann bis 1957 als Lektor tätig war. Später hat man ihn ins Institut für Sozialwissenschaften des Zentralkomitees der KPC versetzt. Im Jahre 1962 wurde Sik zum Direktor des Wirtschaftsinstituts der Tschechoslowakischen Wissenschaftlichen Akademie ernannt wo er bis April 1968 blieb, als er zum Stellvertretenden Ministerpräsidenten berufen wurde.

In den fünfziger Jahren ging Sik mit der offiziösen Ideologie konform. Dann kam er langsam zur Überzeugung, daß das von Moskau aufgezwungene „Modell“ die tschechoslowakische Wirtschaft immer mehr zum blinden Alliierten Moskau verwandeln würde. In jenem Wirtschaftsinstitut versammelte Sik eine Gruppe von talentierten Theoretiker um sich. Die besten Köpfe des Sik-Teams waren Ladislaus Jüngling, Vladimir Nachtigal, Bedrich Levcik und Josef Goldmann, meist Juden, was den russischen Widersachern ermöglichte, sie als „gefährliche und schädliche Zionisten“ abzustempeln.

Sik blieb in der logischen Planung nicht auf dem halben Weg stecken. Er gelangte zur Schlußfolgerung,

daß keine Wirtschaftsreform ohne Änderung des politischen Systems Erfolg haben könne. Am Parteikongreß von 1966 sprach Sik offen darüber, daß parallel mit den ökonomischen Veränderungen auch grundlegende politische Reformen unvermeidlich sein würden. In der Dub- cek-Ära wurde Sik neben dem Parteiführer die populärste Figur. Die Progressiven holten ihn in das Parteipräsidium und wählten ihn zum Präsidenten des Wirtschaftsrats der Regierung.

In einer langen Serie von Zeitungsartikeln, Radio- und Femsehinter- views hob Sik immer wieder die unumgängliche, dringende Notwendigkeit radikaler ökonomischer Reformen hervor. Er wies in einer allgemein verständlichen Formulierung auf die Krankheitsherde der Wirtschaft hin und erörterte ganz offen, wie man diese Quellen der Schwierigkeiten beseitigen müßte.

Ota Siks Zukunftspläne sind derzeit nicht bekannt. Es wäre nicht ratsam für ihn, unter den gegebenen Umständen nach Prag zurückzukehren. Seine familiären Verhältnisse komplizieren seine Situation. Seine Frau ist Herausgeberin in • einem großen Verlagshaus, sein älterer Sohn ist Student an der Prager Filmakademie, der jüngere hat eben die neunte Klasse der allgemeinen Schule beendet. Der Aufenthalt seiner Angehörigen ist derzeit nicht bekannt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung