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PIERRE MENDES-FRANCE / ABGESANG ODER NEUBEGINN?

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S4.1S7 Stimmen für Mendes-France, 28.879 für den Gaullisten Vanier; so lautete das Ergebnis des zweiten Wahlganges im Wahlkreis Grenoble-Süd. Nach fast zehnjährigem „Exil“ kehrt Pierre Mendes-France an die Stätte seiner früheren Erfolge und Niederlagen zurück. Der Ex-minister de Gaulles, der Expre-mier, der als führender Akteur rior nnliHnt'h.tm. Arena die Partei Zersplitterung und den raschen Wechiel der Regierungen in der Vierten Republik ebenso verkörpert hat wie die Hoffnung auf einen Ausweg aus diesem Dilemma der französischen Demokratie, zieht wieder in die Nationalversammlung ein.

Der 1907 in Paris geborene Jurist und Nationalökonom war schon in der Politik der Dritten Republik zu Hause. Bereits 1932 eroberte er, das „Wunderkind“ der Radikalsozialisten, ein Abgeordnetenmandat. 1938 trat er als Staatssekretär in die Regierung Leon Blum ein. Es war eine unruhige, instabile Republik, in deren Diensten sich Pierre Mendes-France begeben hatte. In den 70 Jahren ihres Bestehens, zwischen 1870 und 1940, gab es nicht weniger als 108 Kabinette, mit einer durchschnittlichen Amtsdauer von knapp acht Monaten. Als Petatn seine Herrschaft von Hitlers Gnaden errichtete, galt Mendes-France — bei Kriegsausbruch der Luftwaffe beigetreten — als prominenter Gegner der Vichy-Regierung. 1940 wurde er in Nordafrika verhaftet und zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Er konnte jedoch fliehen und oina zu de Gaulle, dessen wichtigster Berater in ökonomischen Fragen er wurde. 1944 Wirtschaftsminister, mußte er 1945, nach einem Konflikt mit dem Parlament, zurücktreten.

Im Juni 1954 wurde Mendes-France Ministerpräsident. Der Indochinakrieg und das unruhige Nordafrika belasteten Frankreich immer mehr. Mendes-France durchschlug den gordischen Knoten, schloß Frieden In Indochina und gab Tunesien die Unabhängigkeit. Gleichzeitig versuchteer, der Nationalversammlung innere Reformen abzuringen, Der Angelpunkt sollte die Stärkung der Exekutive sein, um eine größere Stabilität der Regierung zu ermöglichen. Doch die Nationalversammlung sah In diesen Plänen einen Angriff auf Ihren Anspruch, sie und nur sie allein repräsentiere die Souveränität. Mendes-France wurde gestürzt.

Drei Jahre später löste die Fünfte Republik die Vierte ab. „Die Vierte Republik geht an Ihren eigenen Fehlern zugrunde.“ Mit diesen nüchternen Worten nahm Mendes-France 1958 Abschied vom scheidenden Regime. Obwohl de Gaulles Pläne in vielem der Politik Mendes-France ähnlich waren (Aufgabe unhaltbarer außenpolitischer Positionen, Stärkung der Exekutive), obwohl zahlreiche ehemalige „Mende-sisten“ sich der Gruppe der „Linksgaullisten“ um Capitant anschlössen, wandte sich Mendes-France gegen die Verfassung der Fünften Republik, vor allem gegen die starke Position des Präsidenten. Doch er schwamm gegen einen Strom — die Mehrheit der Sozialisten, sogar ein Teil der Kommunisten stimmten für die neue Verfassung. Mendes-France schied aus dem Parlament aus und wurde zu einer aggressiven Kassandra.

Die Kassandra sitzt nun wieder im Palais Bourbon. Doch der Führer der sich einigenden demokratischen Linken heißt nicht Mendes-France, sondern Mitterand. Dennoch wird man den neuen, alten Parlamentarier mit besonderer Aufmerksamkeit beobachten müssen. Wird dieser außergewöhnliche Politiker, der bei den Wählern überaus populär, bei den Parlamentariern viel weniger beliebt war und ist, 'nur einen mehr oder weniger spektakulären Schlußstrich unter seine Laufbahn setzen, oder wird er einem neuen Höhepunkt zustreben?

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