Bedrohlicher als US-Bomben

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Im Taliban-Afghanistan entstand die erste postmoderne Frauenbewegung

November 2001. Afghanistan wird bombardiert. Die Regierung ist vollkommen isoliert. Wasser- und Stromversorgung sind zusammen gebrochen. Eine Hungersnot droht. Was machen die Taliban in dieser Situation? Anweisungen für Hotelbesitzer, lautet die unerwartete Antwort. Der Ministerrat der Taliban hat während der entscheidenden Phase im Krieg mit den USA nichts besseres zu tun, als strengere Regeln für Beherbergungsbetriebe aufzustellen. Die Hoteliers müssen demnach ihre Gäste zum Moscheegang auffordern, dürfen keine Zimmer an Frauen, die ohne Männer reisen, vermieten und müssen generell bei weiblichen Gästen darauf achten, dass diese nur in Anwesenheit ihrer männlichen Verwandten sprechen. "Die Frau ist eine Gefahr, eine Herausforderung für dieses System. Wie es scheint, ist sie bedrohlicher noch als die amerikanischen Bomben." Diesen Schluss ziehen Cheryl Benard und Edith Schlaffer in ihrem Buch "Die Politik ist ein wildes Tier. Afghanische Frauen kämpfen um ihre Zukunft."

Thema des Buches sind die Frauen von RAWA, die Frauen der "Revolutionary Association of the Women of Afghanistan". Engagiert erzählt, detailliert beschrieben, fundiert analysiert wird RAWAs Kampf, der schon lange vor den US-Bomben begonnen hat und noch lange nach dem Abzug der US-Bomber andauern wird. "Die Taliban und die Frauenfrage - dabei fühlt man sich an eine dieser billigen Komödien erinnert, in denen die Handlung sich darum dreht, dass tollpatschige Mörder erfolglos versuchen, sich der Leiche ihres Opfers zu entledigen", meinen Benard und Schlaffer. In weiterer Folge belegen die beiden aber, dass die Taliban-Mörder nicht tollpatschig, sondern psychisch krank sind und dass die Welt jahrelang zugelassen hat, dass "die Patienten die Anstalt regierten". Aber auch die primären Opfer der Taliban, die afghanischen Frauen, entsprechen, laut Benard/Schlaffer, nicht der Vorgabe aus der Komödie. Die vermeintlich Toten leben, die zur Hilflosigkeit Verdammten wehren sich, die Weggesperrten formieren sich in ihrem Verließ, die Gedemütigten geben sich gegenseitig Mut. Jede ihrer angeblichen Schwächen können die RAWA-Frauen in Stärke verwandeln, jeder Prügel auf ihrem Rücken und vor ihren Füßen wird zur Waffe in ihrer Hand.

"Politik ist ein wildes Tier" ist ein Buch von Feministinnen über Feministinnen. Genauer gesagt, hier schreiben Feministinnen aus der westlichen Welt über Feministinnen aus einer anderen Welt. Gewiss, Gleichgesinnte, Kampfgefährtinnen treffen hier aufeinander, aber auch große Unterschiede zeigen sich. Benard/Schlaffer reagieren mit Akzeptanz auf die andere Vorgehensweise, mehr noch mit Respekt vor der Taktik von RAWA, ja mehr noch mit Faszination für die "erste postmoderne Widerstandsbewegung". Dass es so etwas wie RAWA überhaupt gibt, sei unglaublich, wundert sich das Autorinnenteam und ist überzeugt, mit einem "historisch einmaligen Ereignis" konfrontiert zu sein: Erstmals seien hier Frauen als Frauen für Frauen unter den extremsten Umständen in einen politischen, militärischen und diplomatischen Kampf eingetreten. Benard/Schlaffer: "Wie sie das taten - dass sie es taten -, das alles war ziemlich neu und ungewöhnlich. Und nur deshalb gelang es ihnen." Aus den Zeilen der Autorinnen, die gemeinsam die " Ludwig-Boltzmann-Forschungsstelle für Politik und zwischenmenschliche Beziehungen" in Wien leiten, ist nicht nur Bewunderung, sondern auch immer wieder große Überraschung über den "anderen" feministischen Weg der RAWA-Frauen herauszulesen.

Benard/Schlaffer geben eindringlich den Rat: "Wenn wir RAWA besser verstehen, dann verstehen wir auch das aktuelle Feld der globalen politischen Auseinandersetzungen besser." RAWA kennenzulernen und besser zu verstehen, dafür bietet dieses Buch durch die zahlreichen Erlebnisberichte und Interviews von und mit afghanischen Frauen (aber auch männlichen RAWA-Sympathisanten) reichlich Gelegenheit. Leider schweigen Benard/Schlaffer über die Umstände und Hintergründe, das Wie und Wo der Gespräche, nehmen sich in diesem Punkt vielleicht ein wenig zu sehr zurück und überlassen allein RAWA die Bühne. Bescheidenheit, Hochachtung, Respekt vor RAWA - der Rezensent traut sich gar nicht die große Stärke dieses Buches in diesem einen Fall auch als kleines Manko zu qualifizieren. Und hört damit auch schon auf mit der Kritik, um mit der Empfehlung zu schließen: ein Buch von Frauen über Frauen - aber keinesfalls nur für Frauen.

Politik ist ein wildes Tier.

Afghanische Frauen kämpfen um ihre Zukunft. Von Cheryl Benard und Edith Schlaffer, Droemer Knaur Verlag, München 2002, 256 Seiten, brosch., e 20,50

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