Die Welt hinter den Gitterstäben der Burkha

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Mit dem Ende des Taliban-Regimes hoffen die Frauen Afghanistans - trotz großer Angst und viel Skepsis - auf Befreiung und Gleichberechtigung. Die feministische afghanische Frauenorganisation Rawa kämpft gegen das Vergessen und neue Unterdrückung.

Verdammt seien dein langer Bart und dein enges Denken/.../ Der Islam ist zu deinem Vorwand geworden/.../Dein Gebet führt zu keiner Erlösung", brachte eine Afghanin ihre Gefühle über die Herrschaft der Taliban in einem kurzen Gedicht zum Ausdruck. "Sehen nicht alle Frauen die Welt nur durch ein Fenster? Während ich sie ansehe, stelle ich mir vor, wie die Maschen (ihrer Burkha, Anm.) dicker werden und sich in die Stäbe einer Gefängniszelle verwandeln. Es ist durch solche Stäbe einer Gefängniszelle, dass meine Tante zu mir spricht, dass alle anderen Frauen sprechen, wie ich selbst", beschrieb eine andere Autorin das Leben ihrer Landsgenossinnen unter dem alles verhüllenden schwarzen Kleidungsstück, das zum Symbol schlechthin der Unterdrückung der Frau unter dem Regime der Koranschüler geworden war. Die Texte sind nur wenige Jahre alt, zu Papier gebracht nach jenem Herbst des Jahres 1996, in dem die Taliban die Hauptstadt Kabul eingenommen hatten.

Fünf Jahre später ist Kabul gefallen, hat in Bonn eine Konferenz über eine neue Übergangsregierung für Afghanistan stattgefunden und haben Afghaninnen - manche, bei weitem nicht alle - es gewagt, in der Öffentlichkeit ihr Gesicht zu zeigen. Die Bilder von solchen Frauen sind um die Welt gegangen, als Zeichen der Befreiung.

Doch welche Befreiung hat tatsächlich stattgefunden? Saher Saba warnt vor Überschwang. "Die Burkha vom Gesicht hat mit Freiheit noch lange nichts zu tun", sagt die außenpolitische Sprecherin der Revolutionären Vereinigung der Frauen von Afghanistan (Rawa). "Natürlich ist es in gewisser Hinsicht ein Sieg, dass die Taliban nicht mehr an der Macht sind, auf deren Sturz hatten wir ja alle gehofft. Aber noch hat sich nichts verändert. Die Frauen leiden weiterhin. Es ist noch nicht das Ende der Tragödie. Wir haben einen weiten Weg vor uns. Wir müssen sehr darum ringen, das Land vom Fundamentalismus zu befreien."

Kein Vertrauen

In die Nordallianz, die im November in Kabul Einzug hielt und nun den Gutteil der Vertreter der provisorischen Regierung stellt, haben die Rawa-Frauen kein Vertrauen. Wo immer sie sich an die Öffentlichkeit wenden, ob, wie Saher Saba kürzlich bei einer Tagung in Neu Delhi, oder in den an Afghanistan angrenzenden Regionen von Pakistan, wo viele ihrer Mitglieder tätig sind, die Botschaft ist ein- und dieselbe: "Wir haben nicht vergessen, was zwischen 1992 und 1996 vorgefallen ist", erinnert Rawa an die Gewalt unter der Mudschaheddin-Regierung, die drei Jahre nach dem Abzug der Sowjets die Macht übernommen hatte. "Die Lage der Frauen verschlechterte sich von Tag zu Tag, was immer die Frauen zuvor hatten, sollten sie nun verlieren.

Der einzige Unterschied, den wir sehen können, lag darin, dass die Nordallianz offiziell keine Beschränkungen für Frauen verkündete. Praktisch aber war ihr Regime schlimmer, sie vergewaltigten Frauen, entführten sie, zerstörten Spitäler, Bürogebäude, Museen und verbrannten Bücher. Scheinbar durften Frauen sich ja frei im öffentlichen Raum bewegen, aber sie wagten es nicht, denn sie wurden gekidnappt, in vielen Fällen verschwanden junge Frauen, und ihre Leichname, die die Spuren von Massenvergewaltigungen trugen, fanden sich später vor ihren Häusern", ruft Rawa für alle jene, die sich angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen daran nicht mehr erinnern können oder wollen, das Schicksal der Afghaninnen schon vor den Taliban in Erinnerung. "Die Taliban und die Nordallianz sind", nach Ansicht der Rawa-Vertreterinnen, "zwei Seiten einer Medaille", die Führer der letzteren gehören somit in keine Machtposition, sondern vor ein Tribunal.

Sofort nach dem Fall von Kabul am 13. November hat Rawa es sich zuerst zur Aufgabe gemacht zu erinnern. Immer wieder hat die 1977 gegründete, bislang einzige feministische Frauenorganisation Afghanistans seither versucht, niemanden die Zeit unmittelbar vor den Taliban vergessen zu lassen. Als "Tor zur Hölle" hatte die Nordallianz damals die Demokratie verurteilt. Und die Rawa-Frauen werden auch weiterhin erinnern, an das, was war, und an das, was sie sich 1977 zum Ziel setzten, wovon sie träumen und wofür sie kompromisslos eintreten - ein modernes, demokratisches und pluralistisches Afghanistan, in dem Staat und Religion klar getrennt sind, ein Afghanistan, in dem die Frauen alle Menschenrechte genießen und den Männern gleichgestellt sind.

"Tor zur Hölle"

Noch nie haben Afghaninnen einen solchen Status gehabt. Die Reformversuche von König Amanullah in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts waren von kurzer Dauer. Inspiriert von Kemal Atatürk wollte auch der afghanische Herrscher damals rasch Veränderungen durchsetzen, scheiterte jedoch am Widerstand seitens der Clanführer, die ihn schließlich zur Flucht aus dem Land veranlassten. Auf die Eröffnung der ersten Schulen für Mädchen im 1924 folgten dann drei Jahrzehnte später neue Befreiungsakte. Unter König Zahir Shah (1933-73) und seinem Nachfolger Präsident Daoud erlangten die Frauen nach und nach mehr Zugang zu Bildung, erhielten das Wahlrecht und zogen einige Afghaninnen als Abgeordnete ins Parlament.

Wenn die Emanzipation der Frauen in manchen Landesteilen deutlich langsamer erfolgte als in anderen, so genossen die Bewohnerinnen von Kabul in den 60er und 70er Jahren jedenfalls eine nie zuvor dagewesene Freiheit. Mit der Ermordung Daouds 1978 und dem Einmarsch der Sowjets im Jahr danach glitt das Land ab in den Krieg, der schließlich zum Aufstieg der Taliban führte. Für die Frauen war es der Weg hinter die Gitterstäbe ihrer Gefängnisse.

Sie daraus zu befreien, wird lange, sehr sehr lange dauern, da machen sich die derzeit etwa 2.000 Mitglieder von Rawa keine Illusionen. "Aber aufgeben kommt für uns nicht in Frage. Wir sind bereit, ein Opfer nach dem anderen zu bringen", sagt eine der Frauen, die wie die allermeisten aus Sicherheitsgründen ein Pseudonym verwendet und darum ersucht, nicht fotografiert zu werden. Zu viele Aktivistinnen haben schon mit ihrem Leben bezahlt, unter ihnen auch die Gründerin der Organisation, Meena, die 1987 im pakistanischen Quetta ermordet wurde. Mit ihrem Bemühen, afghanischen Frauen auch unter den widrigsten Umständen in ihrer Heimat sowie in den Flüchtlingslagern in Pakistan zumindest ein wenig Bildung, Gesundheitsfürsorge und soziale Unterstützung zukommen zu lassen, ist Rawa keiner afghanischen Fraktion willkommen.

"Jihadi-Vampire"

Während Unterricht und ärztliche Betreuung fast ausschließlich "im Untergrund" stattfinden, wie es Miriam Rawi ausdrückt, also in stets wechselnden Unterkünften, und ohne ein Aushängeschild für Rawa, gehen die Frauen mit Bildern und Texten seit bald einem Jahr verstärkt an die Öffentlichkeit. Dank internationaler Unterstützung verfügen sie heute über eine Webseite (www.rawa.org), auf die sie in mehreren Sprachen laufend ihre Kommentare zu den aktuellen politischen Entwicklungen stellen. Vor allem aber dokumentieren sie hier mit Bildern, die meist mit versteckter Kamera gefilmt oder fotografiert wurden, die Lage der Afghaninnen.

Es sind entsetzliche Bilder von Gewalt, von Auspeitschungen und der öffentlichen Hinrichtung von Zarmeena, einer Mutter von sieben Kindern. Wenn es einer Rawa-Frau gelang, unter den Taliban diese Exekution heimlich mit ihrer Kamera festzuhalten, dann muss jeder, der an der Macht im Land ist, den Blick von Rawa fürchten.

Mit extrem argwöhnischen Augen betrachtet Rawa die in Bonn bestimmte Übergangsregierung, die nach ihren Aussagen "Jihadi-Vampire und zwei Frauen" miteinschließt, "von denen eine zur Führung der kriminellen Hezb-i-Wahdat-Partei gehört und die andere eine bekannte paschtunische Verräterin ist." Solche Frauen "können nie als Symbole der Freiheit und Erlösung der Afghaninnen aus der Unterjochung gelten."

Die Amerikaner, die übrigen Mitglieder der internationalen Allianz gegen den Terrorismus, die internationalen Medien, die neuen Machthaber in Kabul selbst mögen sagen, was sie wollen. Noch sucht Rawa vergeblich nach den Anzeichen für einen echten Neubeginn. Da hätte sich ihrer Ansicht nach Ex-König Zahir Shah als Symbolfigur geeignet, da müssten ausnahmslos alle Fraktionen entwaffnet werden, da müsste eine internationale Friedenstruppe im gesamten Land stationiert werden. Da müsste ... die UNO, wie es Rawafrauen bei einer Kundgebung zu Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember im pakistanischen Peshawar forderten, die UNO das afghanische Volk anstelle der Nordallianz unterstützen. Da müsste ...

Rawa wird weiter ringen. Für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Frauenrechte. Für jenen Tag, an dem, wie es eine afghanische Autorin formulierte, "die Frauen ihre schwarzen Gewänder ablegen können und sich in Gelb und Grün, Blau und Orange, Bordeaux und Purpur kleiden."

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