Islamische Fundamentalisten wurden ihrer Illusion beraubt

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Die Nordallianz ist eine lose Bindung unterschiedlichster Kriegsparteien, die großteils nur an den Rechten der jeweils eigenen Ethnie interessiert sind. Kein guter Ausgangspunkt für eine nachhaltig friedliche Lösung.

Das Taliban- und Bin-Laden-Regime gehört der Vergangenheit an. Dieser Typ von in Saudi-Arabien praktiziertem Islam gefärbt mit der Lebensform paschtunischer Stämme hat seine Anziehung in Afghanistan verloren. Er wird wohl in Ansätzen in den paschtunischen Stammesgebieten weiter existieren, aber keine politische Rolle mehr spielen. Damit ist aber die Gefahr eines Bürgerkrieges in Afghanistan noch lange nicht gebannt:

Vor dem Eingreifen der USA waren die Taliban im Begriff die Nordallianz bis Endes des Jahres zu besiegen. Diesem Ziel kamen bekanntlich die Amerikaner dazwischen: Den Einzug der Nordallianz in Kabul kann man als einen geglückten Schachzug der USA bezeichnen, denn damit konnte einer Diskussion um die Weiterführung der Kriegshandlungen während des muslimischen Fastenmonats Ramadan noch frühzeitig entgegen gewirkt werden. Außerdem wurde den islamischen Fundamentalisten außerhalb Afghanistans die Illusion genommen, Bin Laden könnte die Expansion "seines Islams" in die Welt - ausgehend vom für ihn sicheren Boden Afghanistan - weiterhin betreiben.

Nun ist die Nordallianz bestehend aus Usbeken, Tadschiken und Hasaras wieder Herr über die eigenen Siedlungsgebiete. Die Paschtunen hingegen sind immer noch mit ihren Taliban beschäftigt. Die Taliban bestanden nämlich nicht nur aus Arabern und Pakistanis, sondern auch aus Paschtunen, die die totale Herrschaft in und über Afghanistan anstrebten. Die Taliban genossen die Solidarität der Paschtunen, weil diese mit der Kriegsbeute aus nicht-paschtunischen Gebieten entlohnt wurden. Teilweise floss hier auch Bin Ladens Geld. Die Drogenbosse in den Stammesgebieten wiederum erhielten freie Hand im Drogenhandel. Außer den Paschtunen entwaffneten die Taliban alle anderen Ethnien. Deshalb fällt es jetzt den paschtunischen Stämmen schwer zu entscheiden, ob sie die Taliban integrieren oder konsequent bekämpfen sollten. Aus diesem Grund können die Taliban noch die Macht in Kandahar behaupten und sich bislang mit den paschtunischen Stämmen arrangieren. Nur zwei paschtunische Stammesführer, Hamed Karzai und Haji Qadir, die in der Vergangenheit mit der Opposition die Taliban bekämpften, treten für die vollständige Absetzung der Talibanfunktionäre in ihrer Region. Aber sie befinden sich noch in der Minderheit.

Die Nordallianz ist im Ausland als Einheit gegen die Taliban bekannt. Aber sie ist eine lose Bindung von unterschiedlichsten Kriegsparteien. Diese Parteien sind nur an den Rechten ihrer eigenen Ethnie interessiert. Während sich die Usbeken unter General Dostam mit der Kontrolle ihrer Gebiete im Norden zufrieden geben werden, stellt die Partei der Hasaras (Schiiten), auch außerhalb ihrer Kerngebiete, in Zentralafghanistan, in Kabul sowie in Mazar-i Sharif Machtansprüche.

Die tadschikische Führung unter General Fahim und Präsident Burhanuddin Rabbani wiederum stellt Machtansprüche auf ganz Afghanistan, ausgenommen die paschtunischen Gebieten im Südosten. Das ist nicht realistisch, denn die Tadschiken stellen keine Einheit dar. Außerdem, Präsident Rabbani ist bloß ein Aushängeschild für General Fahim, denn Rabbani selbst besitzt keine Hausmacht hat und auch aus diesem Grund ist die Gefahr eines bevorstehenden Bürgerkrieges immanent. Fahim und Rabbanis politisches System schwebt zwischen islamischem Staat und Nationaldemokratie. Persönlich ist Rabbani ein liberaler Muslimführer und tritt für ein modernes Schulwesen - auch für Frauen ein.

Zur Anti-Taliban Allianz zählt aber auch Sayyaf, der Chef einer Wahabiten-Partei, die von Saudi-Arabien finanziert wird. Sayyaf strebt ein politisches System an, das sich von dem der Taliban nicht unterscheidet. Sayyaf war immer ein entschiedener Gegner eines westlich geprägten modernen Systems in Afghanistan und hat die Bemühungen der Vereinigten Nationen für Frieden im Land stets bekämpft. Außerdem ist Sayyaf ein entschiedener Gegner der Schiiten, wobei anzumerken ist, dass der Krieg zwischen Sayyaf und den Schiiten die Auseinandersetzung des Irans mit Saudi-Arabien wiederspiegelt.

General Dostam, ein weiterer Verbündeter in der Nordallianz, ist mit dem politischen System nach westlichem Vorbild vertraut und strebt ein laizistisches System an. Dostam wird von der türkischen und usbekischen Regierung beraten. Er war der einzige Kriegsherr, der während seiner Herrschaft in Mazar-i Sharif (1992 bis 1997) die moderne Verwaltung beibehielt und den Bürgerkrieg in seinem Herrschaftsbereich verhinderte. Er begrüßt eine Regierung der breiten Basis unter der Führung des Ex-Königs Mohammad Zahir Khan.

In Friedenszeiten wären die politischen Gegensätze unter den Parteien auch kein Grund für Sorge, denn in Afghanistan wurde von 1964 bis 1973 westliche Demokratie praktiziert und die derzeitigen Führer der Parteien sind in diesem Zeitraum aufgewachsen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt fehlt jede demokratische Kultur, die Differenzen werden kriegerisch ausgetragen. Dabei spielen die Interessen der Nachbarn Iran, Russland, Saudi-Arabien und Pakistan eine bedeutende Rolle. Der Iran ist mit der Rückkehr des Ex-Königs nicht einverstanden, denn er befürchtet, dass die Monarchisten im eigenen Land damit Aufwind bekommen könnten.

Die Konfliktparteien sind nicht im Stande aus eigener Kraft den Krieg zu beenden. Für die Mehrheit der Afghanen und für viele Kommandanten ist eine Regierung der breiten Basis unter der Führung des Ex-Königs die einzige Alternative. Aber auch diese Regierung kann nur mit Hilfe einer internationalen Friedenstruppe überleben. Eine baldige Entwaffnung der Bevölkerung hängt davon ab, in wie weit die paschtunischen Stammesgebiete integriert werden können. Legen die Paschtunen ihre Waffen nicht nieder, so werden auch die nicht-paschtunischen Ethnien aus der bitteren Erfahrung während der Talibanherrschaft heraus ihre Waffen nicht abgeben. Im Gegensatz zu der These, dass die Afghanen fremde Truppen bekämpfen würden, gehe ich davon aus, dass die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung jede Aktion zur Befrieden des Landes begrüßen würden. Der lange Krieg, Flucht, Vertreibung, das Leben im Exil - das alles veranlasst die Zivilbevölkerung, ein starkes Eingreifen der internationalen Gemeinschaft zu erhoffen.

Der Autor ist ein seit 25 Jahren in Österreich lebender Afghane und Lektor am Institut für Politikwissenschaft in Wien mit dem Themenschwerpunkt: Politik und Menschenrechte in islamischen Ländern.

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