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Afghanistan leidet schwer unter dem seit 11 Jahren tobenden Krieg. Aber es gibt auch kleine Fortschritte in vielen Bereichen der Gesellschaft. Über das bedrohte Erbe der Befreier.

In einer Zeit der asymmetrischen Kriegsführung, der Ausweitung eines gewaltsamen Konflikts von der Front zum landesweiten Kampf, von der auf militärischen Karten gezackten Linie zur großen schraffierten Fläche namens "Kampfregion“, gehen selbst für distanzierte Beobachter die letzten Sicherheiten verloren. Der Feind ist überall, selbst wenn er nicht Attentate verübt und Bomben zündet - er wird zur ständigen Möglichkeit. Der Kampf wird nicht mehr in Schlachten und Scharmützeln oder Eroberungen geführt - und genau genommen geht es nicht einmal mehr um einen Sieg. Es geht um ein elendes Überleben. Diese Grundstimmung drückt sich in den Berichten aus, die aus Afghanistan kommen, von Soldaten und Medien. Sie sind monoton und depremierend, symmetrisch auf ihre Art: Ihre ausschließlichen Themen sind Blut, Angst,Terror und Verzweiflung.

Es reicht allein schon ein Blick auf die letzten Tage, um das zu untermauern: Da werden 17 Menschen bei einem Hochzeitsfest von Taliban hingerichtet. Da wird eine junge Frau wegen angeblichen Ehebruchs gesteinigt. Da kommen bei einem Selbstmordanschlag im Diplomatenviertel von Kabul sechs Kinder ums Leben - der Attentäter selbst ist ein Teenager. Da wird ein britischer Soldat verurteilt, weil er ein Kind im Drogenrausch für einen Taliban hielt und mit dem Bajonett schwer verletzte. Das ist Afghanistan. Und angesichts dessen müsste man erleichtert sein, bedenkt man, dass all das 2014 ein Ende haben soll.

Blackwater und Taliban

2014, das ist das von westlichen Politikern herbeigesehnte Jahr, wenn die letzten Soldaten des Koalitions-Aufgebots Afghanistan verlassen werden. Danach bleiben Söldner von Sicherheitsfirmen wie Blackwater auf NATO-Kosten im Land, um - wie es intern heißt - die afghanischen Streitkräfte weiter zusammenzuhalten. Wie wird es dann weitergehen? "Wir sind bereit“, sagt der afghanische Präsident Hamid Karzai, aber so recht glaubt ihm das niemand. Doch in all der Misere gibt es Unverdrossene, die sich an das Versprechen klammern, das ihnen der Westen gab, als er 2001 das Land besetzte. Dass dieser "notwendige Krieg“ gegen Taliban und Terror das Land zu einer Demokratie machen werde, in der die Menschenrechte Geltung haben. Im Internet und in den afghanischen freien Medien stößt man auf die Geschichten dieser Afghanen, die in Summe die andere Seite dieses Landes zeigen - das wertvolle Erreichte der vergangenen 11 Jahre, das weiterleben wird - zumindest bis 2014, wenn eine neue Zeitrechnung beginnt.

In Tamsa Omid im Norden Afghanistans lebt Khalifa Muhammad Rasul. Rasul ist eigentlich Landwirt. Vor acht Jahren inmitten einer Dürreperiode drohte sein Obstgarten zu verdorren. Rasul bewässerte die Pflanzen bis zu Erschöpfung selbst, indem er den Tag über Wasserkübel im Brunnen füllte und von Hand nach oben zog und ausbrachte. Irgendwann fiel sein Blick dann auf einen Ventilator. Rasul dachte nach und machte sich an die Arbeit. Nach wenigen Tagen hatte er sein erstes Windrad gebaut, das eine Wasserpumpe betrieb, und so seine Obstplantage rettete. Seither ist Rasul Unternehmer. Er baut Windräder in seiner Provinz und ist für die Ökonomen Afghanistans ein Hoffnungsträger geworden: "Mit Windkraft könnte der Landwirtschaftssektor drastisch einträglicher werden.“ Könnte, wenn nur der Krieg nicht wäre. Aber auch der Krieg kann vertrieben werden.

Als die Taliban nach Ghazni kamen, wollten sie, dass alles so würde wie vor ihrer Vertreibung 2001. Zuerst schlossen sie die Schulen und wollten ihre Ordnung wieder in Kraft setzen. Das gelang ihnen nicht. Die Afghanen schlossen sich gegen die Aufständischen zusammen und vertrieben sie aus ihrem Dorf. Das Beispiel machte Schule, der organisierte Widerstand verbreitete sich in vier weite Bezirke - mit dem gleichen Ergebnis. Nun wird in Ghaznis Umgebung wieder gebaut. Die Regierung errichtet insgesamt fünf neue Schulen.

Sind aber nicht die Afghanen selbst eine in Patriarchat und Unterdrückung erstarrte Gesellschaft? Vielleicht. Aber an den Wänden von Mazar-e Sharif sieht man Zeugnisse des Widerstands: Talalo. Talalo ist eine Graffiti-Sprayer-Gruppe, die die vormals monotonen sandfarbenen Mauern der Stadt mit ihren Werken verziert und die Probleme der afghanischen Gesellschaft thematisiert: Ungleichheit, Armut, Drogen und Gewalt. Mitglieder der Gruppe sind Autoren und Journalisten, Ärzte und Anwälte. Shamiosa Hassani, eine Kunstlehrerin aus Kabul sprayt für Talalo Bilder von Frauen in Burka auf Fassaden, dazu Reime, die verstören sollen: "Das Wasser wird in den Fluss zurückkehren, aber was ist mit den Fischen?“ Hassani sieht sich als Volksaufklärerin: "Wir wollen, dass sich Afghanistan ändert.“

Baggy Pants und Hipsters

Es ändert sich. Nehmen wir zum Beispiel Reza. Er ist 22 Jahre alt und arbeitet in einem Mobilfunk-Shop in Kabul. Reza trägt Baggy-Pant-Hosen, ein Piercing am linken Ohr und eine blondgefärbte Popper-Frisur - und er ist nicht der einzige "Hipster“ in der afghanischen Hauptstadt. Kasem ist 27 und besucht eine Anwaltsschule. Sein Haar ist voll Gel und nach Art von Billy Idol aufgestellt. Er verweigert Payrahan und Tonban, die traditionelle Kleidung der Afghanen. "Könnte das die Geburt des afghanischen Punk sein?“, fragte die Zeitung Afghanistan Today. Es klingt so, wenn Kasem sagt: "Ich lasse mir nicht mehr sagen, was ich anzuziehen habe, mein Stil beleidigt andere nicht.“

Das tut er fallweise doch: Einige Polizisten der Hauptstadt sind dafür berüchtigt, westlich gekleidete Junge zu verhaften und ihnen zwangsweise die Haare zu schneiden.

Kasem, Shamiosa oder Rasul: Das sind kleine Mosaiksteinchen in einem großen Kampf zwischen Fortschritt und Stagnation in Afghanistan. Noch immer wird die Mehrheit der Mädchen zwangsverheiratet. Noch immer sind erst 320 der 1700 Abgeordneten Frauen. Jedoch ist die Zahl der Schülerinnen in zehn Jahren von 5000 auf 2,5 Millionen gestiegen. 65 Prozent der Afghanen haben nun Zugang zu einer Gesundheitsgrundversorgung, statt 9 Prozent 2001. All das ist kein Grund zum Feiern, es ist eher so etwas wie ein Versprechen, ein kleineres, realistischeres als das des Westens von 2001. Die Frage ist nun: Wird dieser kleine Anfang so wie der große Krieg 2014 für "siegreich beendet“erklärt? Beendet wie Afghanistan?

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