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Leidensende für Afghanen
Machen die Sowjets acht Jahre nach dem Einmarsch in Afghanistan Schluß mit diesem Abenteuer? Gebracht hat es ja nichts, außer unermeßliches Leid, Hunderttausende Tote und Millionen Flüchtlinge.
Jetzt geht's um den „ehrenvollen Rückzug“, für den es bereits Signale aus Moskau gibt. Und innerhalb Afghanistans soll eine nationale Versöhnungspolitik, die der Staatschef von Moskaus
Gnaden, Najibullah, seit etwa einem Jahr propagiert, einen Ausgleich zwischen Mudschahedin und Regime schaffen und dem Land zu einem echten Frieden verhelfen.
In Wien ansässige Afghanistan-Flüchtlinge, ehemalige Widerstandskämpfer, halten jedoch nichts von dieser Versöhnung. Und bringen damit auch jene Stimmung zum Ausdruck, die offenbar unter den Widerständlern herrscht, die ein unabhängiges, wirklich blockfreies Land vor Augen haben. Zudem besteht die Schwierigkeit noch darin, die verschiedenen Gruppen des Widerstandes unter einen Hut zu bringen.
Momentan - so in Wien lebende Afghanen — gebe es für die sieben wichtigsten Oppositionsgruppen einen einzigen Repräsentanten.
Auf diese „Einigkeit“ beruft man sich auch, wenn man in verschiedenen Ländern gegen eine diplomatische Anerkennung des Kabuler Regimes auftritt - so etwa auch in Österreich.
Spricht etwas für Optimismus hinsichtlich der Bereitschaft der Kremlherren, den Afghanistan-Krieg zu beenden? Moskaus Hinweis, zu einem Rückzug bereit zu sein, falls das Nichteinmischungsprinzip (vor allem seitens der USA, die die „Rebellen“ mit Stinger-Raketen versorgen) gewahrt bleibt, müßte ernst genommen werden.
Zur Einsicht Moskaus in dieser Angelegenheit haben die innere Lage der Sowjetunion, aber auch die Haltung anderer Staaten und die (wegen Afghanistan) beginnende ideologische Absetzbewegung der moskaufreundlichen Dritte-Welt-Staaten beigetragen.
Eine Afghanistan-Lösung muß natürlich die legitimen Sicherheitsbedürfnisse aller Staaten dieser Region berücksichtigen. Auch die USA können nicht ausgeschlossen werden; wovon — wie das jetzt in Washington zu Ende gegangene Gipfeltreffen zwischen Präsident Ronald Reagan und Michail Gorbatschow deutlieh gezeigt hat-ja gar keine Rede sein kann.
Der „konservativste US-Präsident, für dessen Wahl die Weichen seinerzeit in Kabul gestellt wurden“ - so der außenpolitische Sprecher der SPÖ, Peter Janko-witsch, vor kurzem bei einem Afghanistan-Vortrag in Wien -kann sich bei der Lösung dieses Problems nicht beiseiteschieben lassen.
Deshalb ist es verständlich, wenn die USA mit dem neuesten Afghanistan-Bericht des österreichischen Völkerrechtlers und UN-Spezialberichterstatters Felix Ermacora so schwer zurecht kommen. Den massiven US-Angriffen auf Moskau und Kabul wird doch der Boden entzogen, wenn es in Ermacoras UN-Bericht heißt, daß die Kabuler Versöhnungspolitik in Ansätzen zu einer Verbesserung der Menschenrechtssituation in afghanischen Gefängnissen und bei der Religionsausübung geführt habe.
Außerdem hat der Völkerrechtler auf den bedeutendsten Punkt bei einer künftigen Befriedung des Landes hingewiesen: Die Opposition des Landes möchte direkt mit Moskau verhandeln. Die Regierung in Kabul möchte aber diese Gespräche selbst führen. Der lange Zeit zerstrittene Widerstand will außerdem eine völkerrechtliche Anerkennung wie etwa die SWAPO oder die PLO.
Welche Lösungsperspektiven bieten sich an? Jankowitsch spricht zunächst von einem „ehrenvollen politischen Rückzug“ der Sowjets, gibt aber - wie Ermacora übrigens auch - zu bedenken, daß dieser allein nicht genüge. Die Konfliktlösung ist ein vielschichtiger Prozeß, mit dem Abzug der Sowjets verlagert sich das
Problem nur auf die nationale Ebene (FURCHE 46/1987).
Afghanistan muß wieder zu seiner früheren Rolle des freundlichen Nachbarn der Sowjetunion zurückfinden können, meint Jankowitsch. Den Leiden der Jugend Afghanistans müsse ein Ende bereitet und eine Garantie für Nichteinmischung gegeben werden.
Zudem müsse das afghanische Volk beweisen, daß es gegen innere Einmischung gefeit sei. Souveränität sollte auf dem Willen des Volkes - verbunden mit Blockfreiheit - erlangt werden. Zudem spricht sich der frühere Außenminister für eine stärkere Einbeziehung der UNO ins Krisenmanagement aus.
Und Österreich? Als neutraler Staat, meint Ermacora, werde Österreich nicht umhinkönnen, als einer der ersten Staaten Afghanistans Souveränität anzuerkennen und eine Botschaft im eigenen Land errichten zu lassen. Gegen diese Ansicht, die — wie Außenminister Alois Mock - auch Peter Jankowitsch teilt, laufen die Afghanen in Österreich Sturm.
In Verkennung der Regeln des Völkerrechts, die „nicht immer populär“ sind, fordert man Österreich auf, keine „mit Geheimdienstleuten vollgepferchte“ Botschaft des Kabuler „Marionettenregimes“ zuzulassen. Aber die Errichtung einer Botschaft bedeutet noch lange nicht Anerkennung oder gar Billigung einer bestimmten Politik.
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