"Ich bin einfach ein Streber!“

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Mit sechs Jahren kam Veysel Altuntop aus der Türkei nach Österreich, ohne ein deutsches Wort zu beherrschen. Heute spricht er Wiener Dialekt, führt bald drei Geschäfte, träumt von 40 Filialen - und von der Pension in seinem Haus mit Garten in Ankara.

Demnächst wird es sich entscheiden. Täglich, ja stündlich wartet Veysel Altuntop darauf, dass die Behörde ihm endlich grünes Licht für seine ehrgeizigen Pläne gibt. Gleich im Nebenhaus in der Heiligenstädter Straße, vis-à-vis des Karl-Marx-Hofs, ist ein Geschäftslokal frei geworden: Der schrullige Typ, der hier von der Kaffeemaschine bis zum High-Tech-Industrieroboter alles reparieren wollte, hat gerade erst seine staubigen Kisten zusammengepackt. Wenn die Bauarbeiten zügig vonstattengehen, könnte Altuntop mit seinem Lebensmittelgeschäft noch vor Weihnachten dorthin übersiedeln und in den bisherigen Räumlichkeiten des "Mini Market“ eine Bäckerei eröffnen. Zusammen mit dem "Istanbul Center“, einem Haushaltsgeräte-Shop in Wien Brigittenau, wo er bereits drei Mitarbeiter beschäftigt, würde er dann schon drei Geschäfte führen. Wenn, ja, wenn sich die Behörde sputet.

Topfenstrudel meets Baklava

Bis es so weit ist, steht der 38-Jährige mit breitem Lächeln unter dem Schnauzbart hinter der Kühlvitrine seiner vollgeräumten Greißlerei und betreibt erfolgreich Kundenbindung. "Morgen“ ruft er, als ein älterer Herr die Türe öffnet und einen Kebab bestellt; "Servas“ grüßt er einen jungen Mann, der sich im "Mini Market“ ein Päckchen abholen will, das ein privater Zustelldienst offenbar erfolglos bei ihm zu Hause abliefern wollte. Vor zwei Jahren hat sich Altuntop entschieden, in seinem Geschäft auch einen Paketshop zu betreiben und sich damit zusätzliche Laufkundschaft zu sichern. Eine Entscheidung, die gottlob aufgegangen sei, freut sich der umtriebige Unternehmer. Etwa jeder zweite Paket-Kunde kaufe auch eine Kleinigkeit aus dem kunterbunten Sortiment: frisches Brot von einem türkischen Bäcker oder Feldbacher Zwieback, picksüße Baklava oder selbst gemachten Topfenstrudel, Kicher- oder Backerbsen, Oliven und gefüllte Weinblätter oder frische Milchprodukte, Obst und Gemüse aus Österreich. Nur Schweinefleisch führt der gläubige Muslim Altuntop nicht. Dafür ist die hausgemachte Knoblauchwurst nicht nur garantiert halal, also mit Fleisch aus ritueller islamischer Schlachtung gefüllt, sondern auch ganz exzellent.

"Ich bin einfach ein Streber“, sagt der dreifache Vater ganz offen. Jeden zweiten Tag fährt er frühmorgens um drei Uhr mit seinem Lieferwagen zum Großgrünmarkt im 23. Wiener Gemeindebezirk und sucht sich dort selbst die besten Produkte aus. Er will Erfolg haben, etwas schaffen, sich beweisen - hier in Österreich, wo er vor 32 Jahren als kleiner türkischer Bub gelandet ist.

Veysel Altuntop ist sechs Jahre alt, als sein Vater - als Gastarbeiter bereits in Wien - Frau und Sohn zu sich holt. Für den Buben ist es ein Sprung in eine fremde Welt. Doch schon bald trifft er Menschen, die ihm wohlgesonnen sind: "Ich habe eine super Volksschullehrerin gehabt, die zu mir gesagt hat: ‚Bua, du kannst des!‘“ erzählt Altuntop. Zwei Jahre später spricht er fließend Deutsch.

Der redselige Bub will Verkäufer werden, absolviert eine Lehre in einer Meinl-Filiale und wird mit 21 Jahren Filialleiter. 2001, als Meinl kollabiert, kommt er zum Handelsriesen Spar und wird als Gebietsleiter für zwölf "Spar Gourmet“-Filialen zuständig. Doch irgendwann hat er genug vom Arbeiten im Großkonzern. Gemeinsam mit seiner Frau, die er schon mit 17 Jahren bei einer Hochzeit in der Türkei kennengelernt und ein Jahr später geheiratet hat, übernimmt er 2008 im 17. Wiener Bezirk ein kleines Lebensmittelgeschäft, das jedoch unter der Konkurrenz türkischer Großmärkte leidet. Wenige Monate danach kommt er durch Zufall in das kleine Geschäft in der Heiligenstädter Straße, hört bei einem Kebab den Klagen der Besitzerin zu - und übernimmt ihre Lokalität.

Familienleben im Geschäft

Heute ist Altuntops "Mini Market“ längst eine Institution - auch bei österreichischem Publikum. Nicht nur der leutselige Chef, auch die großzügigen Öffnungszeiten locken die Kunden an. "An Sonn- und Feiertagen haben wir natürlich das beste Geschäft“, meint der Unternehmer. Wenn er selbst nicht hinter der Kühlvitrine steht, ist es seine Frau, eines der beiden älteren Kinder, seine Schwester oder die Mutter. So etwas wie Freizeit ist rar; das Familienleben spielt sich im Geschäft ab. "Solange wir uns verstehen, passt das auch!“ betont Altuntop. Ein paar Auszeiten gebe es dennoch: etwa das wöchentliche Freitagsgebet; oder Weihnachten, wo man aus Rücksicht auf die Christen um 15 Uhr die Pforten schließe; oder jene drei Urlaubswochen im Sommer, die man in Ankara verbringe. Dort, im eigenen Haus mit Garten, an dem sein ganzes Herz hänge und um das sich die Schwiegereltern kümmerten, wolle er dereinst mit seiner Frau seinen Lebensabend verbringen.

Doch bis dahin krempelt Veysel Altuntop noch in seiner neuen Heimat Wien die Ärmel auf: Bereits Ende 2012 will er hier zehn Filialen führen - Lebensmittel, Weißware, Bäckereien, egal. Irgendwann könnten es vielleicht sogar 30 oder 40 sein. Zumindest dann, wenn sich die Behörde sputet.

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