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Durchs Nadelöhr jagen

Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als dass ein Reicher ins Himmelreich kommt, hieß es diesen Sonntag turnusmäßig in den katholischen Kirchen; "kein leichter Text", kommentierte mein Pfarrer und übte sich im exegetischen Spagat vor seinem wenig, mittel, sehr reichen Kirchgängern. Für Gott ist nichts unmöglich, beruhigte das Evangelium; für Muhammad Yunus auch nicht, möchte man seit der Vergabe des Friedensnobelpreises an den Bankier aus Bangladesch hinzufügen.

Mikrokredite heißt Yunus' Zauberformel zur Armutsbekämpfung. Dass ein schlauer Kopf sich dieses Konzept ausgedacht hat, hätt' ich mir denken können, ist mir aber erst seit der Preisverleihung an den Professor für ländliche Wirtschaftsentwicklung bewusst. Wie Mikrokredite Armut abschaffen, habe ich im westafrikanischen Burkina Faso, einem der ärmsten Länder der Welt, gesehen: Die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit vergibt dort Mikrokredite und ermöglicht damit Schlossern, Friseurinnen, Bäckern, Bäuerinnen... den Schritt ins Kleinstunternehmertum - und es funktioniert: Mikrokredite schaffen Makroerfolge.

Die Idee zur Gründung einer Mikrokredite-Bank kam Yunus 1974 mit einer schüchternen jungen Frau: Sufia Begum versuchte, mit Sesselwebarbeiten zum Lebensunterhalt ihrer Familie beizutragen. Yunus fragte sie nach ihrem Einkommen. Sie antwortete, das Bambusmaterial für jeden Sessel koste sie fünf Taka (etwa sieben Cent), und dieses Geld müsse sie sich von einem Finanzvermittler leihen. Diesem müsse sie fast all ihre Einnahmen zurückzahlen, so dass ihr umgerechnet nur knapp zwei Cent blieben. "Mein Gott, wegen fünf Taka ist sie zur Sklavin geworden", dachte sich Yunus - und erfuhr dass neben der jungen Frau auch das ganze Dorf auf diese Weise verschuldet war.

"Ich konnte das nicht mit ansehen. Ich legte das Geld auf den Tisch und sagte ihnen, sie sollten sich damit selbst befreien", erzählt Yunus. Ihm selbst sollten sie den Betrag zurückzahlen, wann immer ihnen das möglich sei - und alle Dorfbewohner haben Yunus das Geld innerhalb eines Jahres zurückgezahlt. Und aus der großzügigen Geste ist ein wirtschaftliches Konzept geworden, das Armut abschafft, Frieden ermöglicht und Reichen einen Weg durchs Nadelöhr weist.Wolfgang Machreich

Große Ideen benagen

Schon mehrmals wurde Orhan Pamuk als Anwärter für den Nobelpreis genannt. Nach der Lektüre seines jüngsten Romans Schnee weiß man warum", schrieb die Furche am 3. 3. 2005 und meinte damit weniger die politische Haltung des Autors denn die unüberlesbare Kunstfertigkeit, mit der er unter anderem die Vielstimmigkeit der Türkei in einen großartigen Roman zu gießen wusste.

Freilich, der 1952 in Istanbul geborene Pamuk hat stets seine Stimme für den EU-Beitritt der Türkei erhoben, weil es aus seiner Sicht um die Alternative zwischen Frieden und Nationalismus, oder anders, aber ebenfalls mit ihm gesagt: um die Wahl zwischen schriftstellerischer Phantasie und bücherverbrennendem Nationalismus geht. In vielen Essays hat er versucht, begreiflich zu machen, welche Gefühle von Hilflosigkeit, Minderwertigkeit, Scham und Wut das Schild "Kein Eintritt" hervorruft.

Pamuk, der die Ehre des Volkes dann beschmutzt sieht, wenn man über dunkle Vergangenheit nicht spricht, und die Frage nach dem Schicksal der Armenier im Osmanischen Reich mit der Frage nach der Meinungsfreiheit in der gegenwärtigen Türkei verknüpft, hat die Entscheidung des Nobelpreiskomitees aber vor allem wegen seiner Literatur verdient. Pamuks Werk, geprägt von der Heimat des Autors ebenso wie vom modernen europäischen Roman, lässt erkennen, was großartige Literatur von jeher ausgezeichnet hat: Sie widersetzt sich Verallgemeinerungen und spielt mit den großen Ideen, "die wir, ohne es zu merken, als gängiges Kleingeld in unseren Händen halten".

Die Aufgabe der Literatur, so Pamuk in einem seiner Essays, nachzulesen im Band Der Blick aus meinem Fenster, besteht darin, "die großen Ideen vom Rande her wie eine Maus zu benagen, sie spüren zu lassen, daß sie nicht stimmen, und im Leser Zweifel an den ewig gültigen Meinungen zu wecken". Insofern dieses Nagen einem Autor mit seiner Literatur gelingt - und Pamuks Roman Schnee ist wohl ein hervorragendes Beispiel dafür -, insofern wird sich ein Schriftsteller, und erhält er auch den Nobelpreis, nicht vereinnahmen lassen, von welcher großen Idee auch immer. Sondern sie ins Spiel bringen, auch weiterhin.Brigitte Schwens-Harrant

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