"Man soll spüren: Die meinen es gut mit mir"

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Die Zahlen sind nüchtern: Sieben Menschen wurden im ersten Jahr des Grazer VinziDorf-Hospizes betreut, vier von ihnen sind verstorben, zwei konnten entlassen werden, einer (Marco) ist wieder zurückgekehrt. Doch welche Schicksale stecken hinter diesen Zahlen? Und was hat die Elisabethinen überhaupt dazu bewogen, ein Hospiz für Menschen am Rand der Gesellschaft zu starten und dafür alle laufenden Kosten zu übernehmen? DIE FUR-CHE hat mit Sr. Bonaventura Holzmann und Desirée Amschl-Strablegg gesprochen.

Die Furche: Im VinziDorf in Graz sind Männer ohne festen Wohnsitz untergebracht. Gilt Obdachlosigkeit auch als Aufnahmekriterium für das VinziDorf-Hospiz?

Desirée Amschl-Strablegg: Echte Obdachlosigkeit ist zum Glück nicht so häufig. Wir sind jedenfalls auch offen für schwerkranke Menschen aus Notschlafstellen, Asylheimen oder anderen prekären Wohnsituationen. Ajser I. etwa war beinamputiert und hätte deshalb ihre Einzimmerwohnung im ersten Stock nicht mehr verlassen können. Weil sie bei uns als Frau und Muslima nicht alleine wohnen wollte, haben wir schließlich auch ihren Gatten aufgenommen. Er hat sie intensiv mitbetreut.

Die Furche: Die Bewohner des VinziDorf-Hospizes haben deutlich andere Lebenshintergründe als jene auf der Palliativstation der Elisabethinen. Gab es hier besondere Herausforderungen?

Amschl-Strablegg: Es war tatsächlich am Anfang herausfordernd, mit Menschen zu arbeiten, die aus sehr ärmlichen Verhältnissen kommen. Oft gibt es hier weniger Gespür dafür, wann das Nehmen ein Ende hat. Ich vergleiche das mit der Nachkriegsgeneration: Wenn du so lange mit so wenig leben musst, fängst du an, alles, was du kriegen kannst, zu hamstern. Auch unsere Bewohner waren manchmal damit überfordert, dass hier scheinbar alles im Überfluss vorhanden war. Aber Gott sei Dank haben wir das gut ausreden und uns zusammenfinden können. Von der Marienambulanz der Caritas Steiermark, in der unversicherte Menschen versorgt werden, haben wir hier viel gelernt.

Sr. Bonaventura Holzmann: Für viele war auch die Erfahrung neu, dass da plötzlich jemand ist, der es wirklich ernst und gut mit mir meint. Es sind Menschen gekommen, die völlig aus der Bahn geworfen wurden, die in ein Suchtverhalten abgeglitten sind und den Kontakt zur Gesellschaft und zu anderen Menschen verloren haben. Doch hier, im Hospiz, sollten sie wieder spüren: Da gibt es Menschen, die meinen es gut mit mir!

Amschl-Strablegg: Gerade in dieser Klientel gibt es häufig Menschen, die sehr introvertiert und einsame Wölfe sind. Unser erster Hospizbewohner war etwa Straßenmusikant und hat immer erzählt, dass er eigentlich ein gutes Leben hatte, weil er frei gewesen sei. Erst am Ende hat er gesagt, dass es doch nicht so fein ist, immer allein zu sein -und dass er mehr Wert auf Beziehungen zu Menschen hätte legen sollen.

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