Von Katzen und ihren Menschen

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Es gibt Hundemenschen und Katzenmenschen, dagegen ist nichts zu sagen. Die Hundemenschen ziehen Sonntags ins Grüne hinaus, wo sie einige Stunden lang Freiheit genießen. Sie schwärmen für die Natur - vielleicht, weil sie nicht mehr dazugehören. Abends strömen alle zugleich mit U-Bahnen und Autos in die Stadt zurück, so daß die Straßen verstopft sind und die U-Bahn-Wagen aufquellen wie verdorbene Sardinenbüchsen. Die Katzenmenschen hingegen, das sind die, die am Sonntag bis Mittag im Bett liegenbleiben, sich von der einen Seite auf die andere drehen und wieder zurück und abwechselnd einen Schluck Kaffee und ein Stück Zeitungsinhalt zu sich nehmen, den sie sofort wieder vergessen. Sie sind sich selbst genug.

Für sie hat Bruce Fogle "Die BLV Enzyklopädie der Katzen" geschrieben. Wie sich in diesem Buch Katzen hunderter Rassen im schönsten Vierfarbdruck strecken und recken, Buckel machen und alles baumeln lassen, wie sie gespannt, interessiert oder betont desinteressiert dreinschauen, denn die Katze ist ein Raubtier und der Blick eines Raubtiers geht nie ins Leere, wie da die eine satt und zufrieden fünf Mäuse verdaut und die andere offenbar einen Vogel fixiert, der ihr das Wasser im Maul zusammenlaufen läßt, das macht dieses Buch für den Katzenmenschen schon an sich zu einer Show, da weitet sich seine Pupille.

Selbstverständlich sind reine Hundemenschen und reine Katzenmenschen so selten wie ganz Gute und ganz Böse, ganz Gescheite und ganz Dumme. Wir können einmal Hundemensch und dann wieder Katzenmensch sein, das haben wir den Hunden und Katzen voraus. Aber die Polarität zwischen dem Hund in uns und der Katze in uns ist unleugbar. Sie ist nicht weniger interessant als die zwischen Gut und Böse oder Faul und Fleißig, wird aber viel seltener untersucht.

In der Enzyklopädie der Katzen ist der Hund freilich höchstens als strafender Blick einer erbosten Katze präsent, denn wie jeder weiß, hat in gemischten Haushalten meist die Katze die Hosen an. Da der Dog neben ihnen ohnehin zu einem Dasein als Underdog verurteilt ist, ist die Stimmung meist freundlich.

Um das Sachliche hinter uns zu bringen: Was die Qualität der Bilder und das Layout, also das Optische betrifft, ist das Buch ein Augenschmaus. Auf den Text paßt nur das Wort "umfassend". Da steht alles über alle Rassen, selbst so überzüchtete wie die schwanzlose Manx. Man erfährt aber auch alles generell Wissenswerte über die Katze, sowie alles, was bei der Auswahl und Haltung zu beachten ist. Die sprichwörtliche Selbstgenügsamkeit der Katze darf nicht als Freibrief für seelische Verwahrlosung mißverstanden werden. Auch die Katze braucht Anregung, Beschäftigung und die Gesellschaft ihres Menschen, viel Gesellschaft. Sie ist bloß viel eigenständiger und eigenwilliger als der Hund, Gehorsam aufs Wort entspricht nicht ihrem Naturell.

Ruft man "Miez, Miez, Miez ...", dann kommt die Mieze, oder sie kommt eben nicht. Wenn sie nicht kommt, soll man sie in Ruhe lassen. Sie weiß, was sie tut. Sie zu holen, hat wenig Sinn. Sie würde kratzen oder sich bei der ersten Gelegenheit davonschleichen. Vielleicht hat sie in einer Stunde Lust, sich kraulen zu lassen. Jedenfalls läßt sie sich nicht zwingen. Wenn man aber seinen Hund ruft (Rolf! Rooolf! Hierher Rolf!") und er kommt nicht, ist eine prinzipielle Auseinandersetzung angesagt. Ihm darf man Unfolgsamkeit nicht durchgehen lassen. Er würde Nachsicht als Schwäche auslegen und nächstens auch nicht parieren.

Es ist tatsächlich kaum möglich, von der Katze zu sprechen, ohne des Hundes Erwähnung zu tun. Beide apportieren. Der Hund bringt alles, die Katze nur tote Mäuse. Die Katze ist nicht nur ein freies, sondern auch ein leises Tier, außer in ihren Liebesnächten. Der Hund hingegen bellt, wenn Fremde an der Tür läuten, aber wenn es Freunde sind, bellt er auch. Er bellt aus Freude, aber auch aus Kummer, in dunklen und in Vollmondnächten. Mit Vorliebe bellt er an warmen, sonnigen Abenden, aber wenn es morgens stürmt und schneit, bellt er auch. Er verbellt besonders eifrig schlechtgekleidete Subjekte, hat ein scharfes Organ für alle Nuancen bürgerlicher Verkommenheit und verkörpert in dieser Hinsicht die schlechtesten Eigenschaften seines Herrls. Die Katze dagegen kennt nur Familienmitglieder und Fremde, und bei Fremden ist sie mißtrauisch.

Franz Werfel hat die Polarität der beiden Tiere scharfblickend erkannt. In seinem genialen letzten Roman "Stern der Ungeborenen", den kaum jemand gelesen hat, schildert er eine Zukunftswelt in 100.000 Jahren, in der alles anders ist. Es gibt keine Meere, keine Gebirge, keine Vögel, keine Bäume, keine Städte, keine Verkehrsmittel und keine Technik mehr, keine Verbrechen und keine Verdauung, und die Hunde haben es gelernt, mit den Menschen Konversation zu machen. Die Katzen aber sind geblieben, was sie immer waren und vollziehen eines Tages als unübersehbare, weiß-braun-rote, gefleckte und getigerte Schar einen großen Exodus aus der Welt des Menschen: Werfel muß die Katzen geliebt haben.

Natürlich projizieren wir alles mögliche in die Katze hinein. Aber das tun Menschen schließlich seit Jahrtausenden, warum sollen ausgerechnet wir damit aufhören. Außerdem wissen wir nicht, was die Katze alles in uns hineinprojiziert, und revanchieren wird man sich doch noch dürfen. Im übrigen ist auch Bruce Fogle kein reiner Katzenmensch, er schrieb auch "Die BLV Enzyklopädie der Hunde" (Furche 45/1996, "Auf den Hund gekommen").

DIE BLV ENZYKLOPÄDIE DER KATZEN Von Bruce Fogle BLV Verlag, München 1998 240 Seiten, 1.300 Farbfotos, geb., öS 569,

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