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Ein Hers auf vier Pfoten

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Wenn ich einen Hund betrachte, gerate ich leise und unwillkürlich auf Schmelztemperatur. Schon die bloßen Schnurrbarthaare unter der Nase erfüllen mich mit Rührung. Dabei hatte ich als Fünfjähriger Angst vor Hunden; sie bellten zu laut für meine Gehörsnerven. Als wir an einem großen Hund vorübergingen, fragte mein Vater: „Hast du Angst?“ — „Ich hab' keine Angst, ich zittere nur“, sagte ich. Doch bald wandelte sich das in Sympathie, besonders als ich merkte, daß auch ich den Hunden anwedelbar war. Natürlich liebe ich auch Katzen — wer könnte ihrer genialen Bewegungsanmut widerstehen! Der Unterschied ist der: Wirfst du einen Ball, so wird die Katze flugs nachspringen, der Hund ebenfalls, aber er wird den Ball auch wieder zurückbringen. Das heißt:

„Wirf noch einmal; wir bilden eine Spielgemeinschaft.“ Selbst der vernünftigste Hund wird wie verrückt, wenn man ihm was zum Fangen vorauswirft, weil sich damit sein ganzer Lebenssinn greifbar verwirklicht: Kamerad des Menschen zU sein. Darauf beruht ja seine Existenz; das, das allein hat aus dem Schakal oder Wolf einen Hund gemacht — das Tier mit der größten Karriere, das Tier, das über sich selbst hinauswuchs. Und weil auch der Mensch über sich selbst hinauswachsen kann, so fühlen wir uns beide verwandt. Der Hund ist ein verehrendes Tier. Er muß irgendwie ahnen, daß der Mensch betet. Wäre die Menschheit eines Tages durch die Atombombe vernichtet, so würde der Hund in den Schakal oder Wolf zurückfallen, denn er ist zur Hälfte eine Schöpfung des Menschen. Die Katze aber würde Katze bleiben.

Welch ein Entsetzen packt den Hund, wenn sich der Mensch aus seiner aufrechten Stellung niederläßt und ihm auf allen Vieren, sozusagen als Hund, entgegenkommt! Ein Schwein, an angeborener Intelligenz dem Hunde wohl überlegen, würde so etwas völlig kalt lassen. Der Hund aber ist entsetzt — wie auch wir es wären, wenn ein Marmorjupiter plötzlich zu niesen anfinge. Kein Hund wird einen ruhig stehenden Menschen jemals anfallen; er muß dazu erst mühevoll dressiert werden. Ich wurde einmal auf der Steppe von sechs riesigen Schäferhunden erspäht. Ich sah sie schon von weitem kommen, wie rasend rollende Wattebäuschchen. Hätte ich auch nur einen Schritt gemacht, so wäre ich in die Kategorie „Fluchtwild“ eingereiht und zerrissen worden. Aber da ich ruhig stehenblieb (und einen Band Jean Paul zum Lesen hervorzog), zogen sie knurrend um mich im Kreise herum und trollten sich nach einer Viertelstunde.

Der Hund bekommt beim Gähnen einen menschlichen Ausdruck; vielleicht weil wir Menschen beim Gähnen einen tierischen Ausdruck bekommen. Menschlich wirkt auch die Miene des Ekels beim Hunde, wenn er die geschnappte Fliege umständlich wieder ausspuckt. Und wie hinreißend ist sein jauchzendes Hochspringen, wenn man auch nur einen Schritt auf die Flinte hin tut. Wunderbar traulich ist es, wenn man nachts in das dunkle Zimmer tritt und sogleich von der Ecke her das klopfende Wedeln vernimmt: Taktaktak — was sind alle Lie-besschwüre dagegen! Und wie rührend ist er, wenn er im Schlaf jagt und sein Körper die geträumten Laufbewegungen andeutet... Ich habe noch nie von einem Menschen gehört, daß er beim Tod eines geliebten Wesens vor Gram verhungert wäre.

Hund und Katze stehen sich wie Hund und Katze, denn er ist ein geselliges Herdentier, sie aber ein einsiedlerisches Baumtier. Ich kam einmal, auf der anderen Seite der Berge, durch einen Bauernhof. Dort lag in Sphinxstellung ein riesiger Bernhardiner, ein Löwe, und blickte unbewegt in die Ferne. Da sprang die zierlichste aller Katzen zwischen seine aufgestützten Ellbogen und rieb sich, vom Rücken bis zum Kopf, an seiner breiten Zottelbrust — mit einem Schmeichelblick auf seine Augen hin. Sie tat ihm schön, weiß Gott. Er aber ließ das geschehen, wie die ägyptische Sphinx die kletternden Touristen, und blickte unbewegt in die Ferne. In jedes Menschenheim gehören ein Hund und eine Katze — schon damit Mann und Weib sehen, wie gut man sich trotz allem vertragen kann. Aber dazu muß man über sich wieder einen Herrn wissen. Von selbst kommt das nicht.

Doch, was erzähle ich da? Das weiß jeder Tierfreund schon längst. Es gibt zwei Arten von Tierliebe. Die eine ist bezeichnet durch jene Aufschrift, die ich über einem Kamin fand: „The more I know men, the more I love dogs.“ Das ist eine recht verzweifelte Aufschrift; diese Tierliebe schmeckt nach gewendetem Menschenhaß. Sympathie, die von Verachtung lebt, ist selber nicht ganz sympathisch. Wie dumm war' es dann vom Hund, gerade den Menschen zu verehren! Nein, man muß den Hund lieben als Kreatur, besonders aber deshalb, weil er den Menschen liebt. Tierliebe sei ein Ansatz zur Menschenliebe! (Fällt es dir schwer, die Menschen zu lieben, so erinnere dich, daß jeder Mensch einmal ein Kind war.)

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