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„Napoleon, du stinkst!"
Und ich wiederhole: „Mir kommt kein Hund ins Haus. Wir haben eine kleine Wohnung und keinen eigenen Garten. Aber wie es Findelkinder gibt, scheint es auch Findhunde zu geben - ja nicht mit Windhunden zu verwechseln, mit denen sich bei Wettrennen wenigstens Geld machen ließe.
Es war aus Tom und Kathi nicht recht herauszubekommen, wo sie den Bastard aufgegabelt hatten. Im stillen habe ich sie in Verdacht, sich wieder einmal verbotenerweise bei der Mülldeponie herumgetrieben zu haben. An drei aufeinanderfolgenden Tagen habe ich den struppigen Köter wieder verscheucht, wenn sie mit ihm aufgetaucht sind. Als dann aber täglich größere Wurststücke und mehr Kekse aus der Vorratskammer fehlten, nachdem die beiden sich auf den Schulweg gemacht hatten, kapitulierte ich eines unbedachten Mittags, als die zwei von der Schule kamen und drei Schritt hinter ihnen mit eingeklemmtem Schwanz, das kleine, schmutzige Scheusal. „Aber glaubt nur nicht, daß mir das Vieh in die Wohnung kommt! Wenn ich ihn einmal drinnen entdecke, könnt' ihr ihn im Tierheim besuchen." Sie fielen mir um den Hals und begannen sofort, den alten Korb aus dem Dachboden mit einer Decke in ein Lager für Napoleon zu verwandeln. „Warum denn Napoleon?", frage ich. Sie schauen sich betreten an. „Ich hab den Geschichte-Test verhaut", murmelt Tom kleinlaut.
Auch das noch. „Nur weil er ein paar Siege von dem Größenwahnsinnigen nicht gleich gewußt hat", verteidigt ihn seine Schwester. Napoleon '96 dürfte, aus seinem Benehmen zu folgern, im bisherigen Dasein überhaupt keine Siege errungen haben. Tagelang durften sich ihm nur Tom und Kathi nähern. So ein Verhalten läßt auf ein mieses Hundeleben unter Steinwürfen und Fußtritten schließen.
„Der Hund stinkt, das ganze Stiegenhaus stinkt nach nassem Hund", stellte mein Mann fest.
Napoleon entwickelte ungeahnte Kräfte, dem verhaßten Naß zu entkommen. Und zeigte ein hervorragendes Gedächtnis, wenn ihn jemand auch nur in die Nähe der Waschküche zu locken versuchte.
Mit der Zeit wurde das Zusammenleben zwangloser, vor allem für Napoleon, der sich dem Zwang von Maulkorb und Leine geschickt zu entziehen verstand. Das Benützen öffentlicher Verkehrsmittel führte zu unerfreulichen Auseinandersetzun -gen. Dressiertes Trippeln schien unter seiner Würde zu sein und ich kam mir schließlich beim Einkaufen durch das gegenseitige Angekettetsein auch ziemlich unterm Hund vor. Das Glück, am Stadtrand zu leben, hat auch seine Tücken. Wenn sich am Waldrand ein Reh blicken läßt, vergißt Napoleon jeden einstudierten Gehorsam. Ich kann Trommelfell zerfetzende Pfiffe über die Wiese gellen lassen, das kleine Bündel jagt mit atemberaubender Geschwindigkeit auf und davon. Oft dauert es eine viertel oder halbe Stunde, bis er mit deutlichen Zeichen schlechten Gewissens, aber doch irgendwie befriedigt, wieder auftaucht. Peinlich: Der Herr Revierinspektor schaut mich in letzter Zeit mit sehr dienstlicher Miene an, obwohl wir Napoleon selbstverständlich dem Heer der Steuerzahler eingereiht haben.
Der Eifer der Kinder bezüglich Napoleons Pflege hat naturgemäß bald weitgehend anderen Interessen Platz gemacht. Dafür wurde er meinem Mann und mir mehr und mehr zum selbstverständlichen Hausgenossen. Er, der Köter aus der Slumgegend, hat eindeutig Karriere gemacht und läßt das seine Kollegen im Viertel auch spüren. War er früher eher abwartend im Kontakt mit den Artgenossen, so wirft er sich jetzt bei ihrem Anblick sofort in Positur. Seinen Platz im Stiegenhaus hat er längst gegen die alte Gästecouch vertauscht. An Schlechtwettertagen allerdings verfluche ich seinen sozialen Aufstieg: wenn sich dieser tropfnasse Fetzen schüttelt, daß Dreckwassertröpfchen und Sand nur so spritzen, stelle ich schon wütende Überlegungen an, wie der Hund zum Menschen kam und der Mensch auf den Hund.
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