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Die Schuld des Hundes

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Eine russische Legende nacherzählt

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Eine russische Legende nacherzählt

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Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, und mitten in Rußland machte er einen großen Garten, hundertmal so groß wie der Garten im Kreml, mit einem gewaltigen Ofen darunter, damit die Bäume nicht erfrieren, und einem großen Glasdach darüber, das den Schnee abhielt und die Sonne durchscheinen ließ. Dann zog er um den Garten einen tausend Werst langen Zaun aus Tannenpfählen, damit der Teufel nicht hereinkonnte. Und dann schuf Gott-Vater Adam und Eva und setzte sie in den Garten und erlaubte ihnen in seiner vergnügten Stimmung, so viel Äpfel und Nüsse und Klukwak zu essen, wie sie Lust hätten. Nur einen Baum durften sie nicht anrühren. Und er schärfte ihnen ein, gut aufzupassen, damit Satan sich nicht in den Garten schliche.

Adam war im allgemeinen zufrieden, aber er sagte zu Gott: „Wenn ich Tag und Nacht aufpassen soll, das ist zu viel für einen!“

Da griff Gott in die Zweige eines Baumes, pflückte eine Nuß, knackte sie zwischen den Zähnen auf, knetete sie und machte daraus einen Hund, so groß wie ein kleines Kalb, mit einer Nase, so fein, daß er alles auf Erden, bis zweihundert Werst jenseits des Zaunes, riechen konnte, und mit einer Stimme, die man bis in den Himmel hörte. „Siehe“, sprach er zu Adam, „das ist dein Helfer, der wird dich des Nachts ablösen, damit du schlafen kannst.“

„Du", wandte er sich an Mischka, den Hund, „du kannst tagsüber schlafen, soviel du willst. Aber wenn du nachts einen Schwefelgeruch riechst, so paß scharf auf, und wenn du siehst, daß der Teufel seine Klaue an die Türklinke legt, dann brauchst du nur einmal zu rufen, und Gabriel Bogdanowitsch kommt. Verstanden?“

„Verstanden“, antwortete Mischka.

„Also“, sprach der Herr, „ich bin zufrieden mit dir. Zur Belohnung verleihe ich dir die dreizehnte Rangsklasse, eine Stufe höher als die Tiere, dazu den persönlichen Adel und eine Haut ohne Federn und Haare, damit du den Menschen ähnlich bist.“ Mischka dankte Gott dem Herrn, versprach brav zu sein und begann noch am selben Abend seinen Rundgang. Gegen Mitternacht kam der Teufel, der nichts von Mischka wußte und frisches Fleisch im Garten erschnupperte, ganz sachte aus seinem Tannenwäldchen hervor an den Zaun. Mischka, unter einem Busche versteckt, dachte bei sich: Wart’ nur, du wirst dich schon verrechnen! Der Teufel hatte keinen Argwohn. Er legte die Tatze auf den Zaun — da schlägt der Hund an. Der Böse macht sich davon!

Aber Gabriel, den es verdrossen hätte, umsonst aufzustehen, hinter ihm her! Der Teufel heult, Gabriel drischt, Mischka lacht sich in Fäustchen... Vierzehn Tage vergingen, ehe der Gehörnte sich wieder an den Zaun wagte. Diesmal brachte er gebratene Rebhühner mit, und schön fett waren sie ... „Halt, Mischka! Ich habe dir was mitgebracht. Willst du?“

„Wirf’s über den Zaun, aber kommt nicht zu nah!“ Der Teufel warf eins herüber ... zwei... drei, und bei jedem Schritt kam er ganz unschuldig einen Schritt näher, Beim vierten Rebhuhn berührte er mit den Fingerspitzen den Zaun — o weh! Der Hund, noch beschäftigt, das dritte zu verschlingen, gibt Laut. Gabriel kommt wie der Blitz vom Himmel gefahren — und der arme Teufel kehrt so von der englischen Knute zugerichtet zur Hölle zurück, daß er zwei Monate lang kein Glied rühren kann. „Wenn du nicht gebellt hättest“, sagte Gabriel zu dem Wächter, „so hätte ich dich mit der Knute bearbeitet!“

„Sehr wohl, Euer Exzellenz“, gab der Hund zurück, „gut, daß es den andern traf!“

Und wenn von nun an der Teufel wiederkehrte, so gelüstete es den Wächter des Paradieses nicht einmal mehr nach seinen Rebhühnern. Aber Satan ist voller Ränke und Listen. Allabendlich kam er an den Zaun, ohne ihn zu berühren, tat dem Hund schön und erzählte ihm nette kleine Geschichten. Mischka gewann ihn fast lieb, weil er ihn alle Tage sah. Nachts langweilte er sich so allein, und das Geplauder des Teufels unterhielt ihn.

„Erzähle, so viel du magst. Aber wenn du den Zaun anfaßt, fürchte die Knute!“

„Oh“, antwortete der Teufel, „ich habe genug Prügel bekommen, ich vergesse es nicht. Ich komme nur zum Plaudern her.“

„Schön, plaudern wir. Aber: Finger weg!“

Mehr als ein halbes Jahr verging. Der Winter kam — Mischkas erster Winter. Er litt unter dem kalten Wind und dem Schnee, der von dem Winde durch den Zaun geweht wurde. Eines Abends, als es so recht russisch gefroren hatte, strich der arme Hund am Zaun entlang und wollte und wollte nicht warm werden, sosehr er auch lief. Da nahte der Teufel in einem prächtigen Wolfspelz, eine schöne gefütterte Mütze auf dem Kopf, an den Füßen herrliche Pelzgaloschen, und sah ihn mitleidig an.

„Warum geben deine Herren dir keinen Mantel?“ fragte er den Hund. „Ich kriege eine Gänsehaut, wenn ich dich nur ansehe.“

„Diese nackte Haut ist mein Vorrecht“, sagte Mischka und klapperte mit den Zähnen. „Aber es ist wahr, sie hält nicht gerade warm."

„Möchtest du wohl einen Mantel haben wie ich?“

„O ja —-!“

„Ich habe noch einen, der wird dir passen. Mir ist er zu eng geworden. Ich laufe und hole ihn ...“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, eilte er davon.

Wenn ich nur bellen kann, dachte der Hund, das übrige kann meinem Herrn egal sein ... Übrigens ziehe ich ihn wieder aus, wenn es warm wird . ..

„Da“, sagte der Satan, als er atemlos zurückkehrte, „und um dir zu beweisen, daß ich dir keine Falle teile, will ich hundert Schritte weggehen, während du ihn probierst. Fang!“ Und er warf ihn über den Zaun. Mischka nahm den Wolfspelz, drehte ihn noch einmal um, fand aber nichts dagegen einzuwenden. Es war ein schöner Pelz, lang, schwarz und lockig. Der Teufel stand hundert Schritte entfernt. Mischka schlüpfte in den Pelz — er saß ihm wie angegossen und verschloß ihm weder Schnauze noch Nase.

„Siehst du“, sagte der Satan, „ich bin nicht so schlimm, wie Gabriel sagt.“

„Kann sein! Aber ich bitte dich, komm nicht so nah an den Zaun. Bellen würde ich trotz deines Geschenks.“

„Mein Gott, es war nicht meine Absicht, dir damit die Schnauze zu verstopfen! Ich gehe jetzt nach Hause, und wenn ich erst weg bin, kannst du so viel Lärm machen, wie du willst..."

„Du gehst schon?“

„Ja, ich habe Zahnschmerzen, ich gehe zum Zahnarzt. Ade!“

„Gute Nacht!“

... Das ist ein sonderbarer Kauz, dachte Mischka bei sich. Ich habe ihn zwei- oder dreimal verprügeln lassen, und zum Dank schenkt er mir solch einen feinen Mantel, leicht, mollig, auf Taille gearbeitet! Darin fühl ich mich wohl —! Er kam gerade an einem dicken Rasenteppich vorüber und streckte sich faul ins Gras.

... Ach, man braucht nicht mehr zu laufen, um sich aufzuwärmen! Ich werd herrlich schlafen! Die Ohren klappe ich über die Augen ... zu riechen ist nichts, er ist weit weg, er ist ja zum Zahnarzt gegangen. Und außerdem: er kennt mich, er hat schon mehrmals Prügel bekommen. Und auch ... wenn ich einschliefe ... der Geruch würde mich wecken ... so ... so! Nur einen Fehler hat der Pelz, die Nase ist zu nackt.. aber dann kann ich meine Pfote drauflegen.

Ja, wenn man es hübsch warm hat und sich hinlegt, dann ist’s bald geschehen!

Der Teufel wußte es wohl, der Bösewicht! Nach zwei Stunden kam er wieder — auf Schneeschuhen diesmal, um keinen Lärm zu machen. Der Wind stand ihm günstig, er wehte den teuflischen Geruch nach der anderen Seite. Mischka schlief. Er träumte, er sei befördert worden, habe den erblichen Adel bekommen und einen schönen Titel dazu ... Ha, der Teufel saß schon auf dem Apfelbaum Gottes! ...

Die Sonne war längst aufgegangen, Mischka schlief noch immer. Plötzlich hörte er eine fürchterliche Stimme wie von einer riesigen Glocke. Gabriel Bogdanowitsch rief ihn! Mischka fuhr auf. .. er wollt seinen Pelz abwerfen, aber siehe da, er war ihm rings am Körper festgewachsen! Der ganze weite Garten war verwüstet wie von einem Unwetter. Alle Tiere flohen. Mischka wollte auch fliehen. Aber ehe er einen Schritt tun konnte, sauste die Knute auf ihn nieder. Der Erzengel hielt Wort. „Elender!“ sagte er, endlich innehaltend, „hinaus mit dir! Du bist nach Sibirien verbannt! Du hast das Paradies nicht bewachen wollen: so sollst du Hauswächter auf Erden sein! Adams'Kinder werden deine Herren sein bis ans Ende der Welt und der Zeiten, und als Zeichen deiner Knechtschaft sollst du immer Satans Pelz tragen!“

Seit dieser Zeit haben die Hunde einen Pelz wie die Nachtwächter und müssen, wie die Nachtwächter, des Nachts wachen.

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