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Wenn Schnurrli über Frauerls Füße herfallt

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Daß nicht nur der edle Schäferhund, sondern auch sein Besitzer eine Seele hat, wissen Österreichs Fernsehzuschauer spätestens seit der Serie „Kommissar Rex”.

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Daß nicht nur der edle Schäferhund, sondern auch sein Besitzer eine Seele hat, wissen Österreichs Fernsehzuschauer spätestens seit der Serie „Kommissar Rex”.

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Und daß in den. Supermärkten die Sektion „Körperpflege” von einem breiten Sortiment an Dosen mit Katzen- und Hundeköpfen - Geschmacksrichtung von Leber, Huhn in Aspik und Dorsch bis zu Knte mit Maisflocken oder Fisolen mit Wild - in die Ecke gedrängt wurde, zeigt die Bedeutung des Tieres in der Konsumgesellschaft.

Zwar lehrte Thomas von Aquin noch, daß „die Seele des Tieres nicht teilhaftig eines ewigen Seins” sei: ein Spaziergang durch einen der Parks -in dem die Österreicher ihren Liebling „äußerin” führen, lehrt, daß zumindest die terrenale Ko-Existenz von Hund, Frauerl oder Herrl von inniger Beziehung durchflochten ist. Oft tauchen im Zusammenleben der Spezies auf engem Wohnraum plötz: lieh Probleme auf: da fällt Schnurrli, die Brave, wie wild über die nackten Füße des Frauerls her, da will Blacky, der Gutmütige, nicht mehr aufhören zu knurren, wenn sein Besitzer tele-phoniert. Das stolze „er versteht mehr als ein Mensch”, mit dem man bisher die Nachbarin beeindrucken konnte, bleibt im 1 lals stecken, wenn Diogenes aus heiterem Himmel bei der Zimmerpalme das Bein hebt.

Die Tierpsychologie, ein junger Berufszweig, der sich im Zuge von Konrad Lorenz' Graugänsen auch in Österreich etablierte, weiß da Bat: Tierpsychologen behandeln nicht nur Hunde, Katzen und bisweilen Kaninchen mit Angtsymptomen oder de-

pressiven Erscheinungen. „Wenn ein Tier sehr verschreckt ist,” weiß Universitätsprofessor und Tierpsychologe Hermann Bubna-Littiz, „dann rührt das oft vom ängstlichen Verhalten sei -nes Besitzers.” Auch Konflikte in der (menschlichen) Partnerschaft werden bisweilen über das gemeinsame Tier ausgetragen. „Das ist mein Hund,” sagt etwa das Frauerl, streichelt und verhätschelt (den Hund). „Das ist mein Hund”, sagt das Herrl, straft und züchtigt. „Das Tier kennt sich dann nicht mehr aus,” meint Bubna-Littiz, der seit fünf Jahren eine tierpsychologische Beratungsstelle betreibt.

Bangstreitigkeiten sind eines der häufigsten Probleme im Zusammenleben von bellendem Vierbeiner und Mensch. „Ein junger Hund probiert aus, wieweit er gehen darf,” meint auch die Tierärztin und -psychologin Ingrid Brunner, „und versucht, sich in der Bangordnung der Familie nach oben zu arbeiten.” Besitzer, die ihren Hund mißverstehen, bleiben da oft

auf der Strecke. Plötzlich liegt das Tier am Sofa, der Vater sitzt am Küchensessel.

„Was in Amerika längst zum „guten Ton” gehört, nämlich sowohl selber als auch mit seinem Tier zum Psychiater zu gehen,” ist da in dem Fol-

der in ihrer Praxis zu lesen, „steckt bei uns noch in den Anfängen.” Der Wiener Tierarzt Ferdinand Brunner hat vor 38 Jahren die erste tierpsychologische Beratungstelle im zweiten Wiener Gemeindebezirk eingerichtet. „In den meisten Fällen muß nicht nur das Tier umerzogen werden,” sagt seine Tochter Ingrid Brunner, „sondern vor allem der Besitzer muß lernen, sein Tier richtig zu verstehen.”

Ein Fall aus der Praxis: Senta, die dreijährige Schäferhündin hat seit dem letzten Silvesterabend Angst vor lauten Geräuschen und Gewitter. Seitdem vor ihr ein Auspuff knallte, will sie überhaupt nicht mehr auf die Straße. Ingrid Brunner riet zur Therapie: zweimal täglich ein spezielles, angstdämpfendes Mittel, zirka zwei Stunden später ließ ein Nachbar die Platzpatronen einer Spielzeugpistole knallen. Sentas Herrl beruhigte sie mit einem Leckerbissen. Platzpatronen und darauffolgender Happen wiederholten sich mehrmals: seither geht Senta wieder spazieren.

Die amerikanischen Tiertherapeuten Benjamin und Lynette Hart berichten in ihrem Buch „Verhaltenstherapie bei Hund und Katze” vom Zwergschnauzer Tommy, der pausenlos nach nicht vorhandenen Fliegen schnappt. Ein lästiger Tick, der seine Besitzer zur Verzweiflung trieb. Der Bat der Therapeuten: vermeiden Sie es, Tommies Schnappen in irgendeiner Form zur Kenntnis zu nehmen. Verlassen Sie den Baum und ignorieren Sie ihn vollständig. Wenn Tommy nicht schnappt, loben Sie ihn und geben Sie ihm einen Leckerbis-

sen. Zusätzlich kann eine Spritzpistole (Vorsicht: Tommy darf nicht merken, wer schießt), sein Fliegen-schnappen mit einer Dusche unliebsam verknüpfen.

Mensch und Tier sind die häufigsten Ursachen für Fehlverhalten. So auch im Fall Benno, der eines Tages nicht mehr zu bellen aufhörte. Jedesmal, so fand die Therapeutin Ingrid Brunner heraus, wenn der Hund zu bellen begann, versuchte ihn sein Herrl mit „brav-brav” und Streicheln zu beruhigen. Eine Liebkosung, die der Hund fortgesetzt mit Bellen einforderte.

Die Diagnosen betreff der (tierischen) Patienten laufen von Angst, Depression, Freßsucht und Anorexie, bis zu Stubenunreinheit, Streunen und Aggressionen gegen die Besitzer. Beim Menschen fordern gewisse Zeiten bestimmte Krankheiten. Ist das bei seinem Tier genauso? Professor Bubna-Littiz ortet eine relative Zunahme von Ängstlichkeit bei Hunden. Vor allem Tiere aus Osteuropa, die nach Österreich importiert wür-

den, litten unter Beizüberflutung in Großstädten. Bei heimischen Exemplaren ist besonders auf die prägende Phase am Lebensanfang zu achten. Denn „verzärtelte Jungtiere,” sagtln-grid Brunner aus ihrer Erfahrung, „haben später oft psychische Probleme”.

Aber nicht allein der Mensch prägt seinen Hausgenossen. Auch die Basse des Tieres bestimmt dessen Wesen und die Weise des Zusammenlebens. Oft ist die Wahl des vierbeinigen Partners der Beginn einer höchst konfliktreichen Gemeinschaft, die mit vorzeitiger Trennung endet. Bei der Paarkonstellation Von schnittigem Windhund und übergewichtigem Büroangestellten ohne Tagesfreizeit, zum Beispiel, ist auch der beste Therapeut ratlos. Leider, meint Ingrid Brunner, bestimmten oftmals Prestigedenken und Modetrends die Wahl des Tieres. So tauchten in letzter Zeit vermehrt deutsche Schäferhunde in der Praxis auf, die häufig Bex hießen. Die Enttäuschung sei groß, sagt sie, auf beiden Seiten.

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