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Muppi

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Die Geschichte einer überraschenden Liehe Von Erne S e d e r

Sie hat große, grüne Augen, die durch kein Fleckchen getrübt werden. Wenn sie mich ansieht, muß ich an einen kleinen Gebirgssee denken, auf dessen Grund man jedes Steinchen erkennen kann. Ihre Bewegungen sind langsam und von einer sicheren Grazie. Wenn sie gähnt, bin ich hingerissen — ich habe nie ein anmutigeres Gähnen gesehen.

Sie heißt Muppi. Das ist eine Verhunzung von Muzzi und Puppi. Aber daneben hat sie noch viele andere Namen und viele einschlägige Koseformen. Sie hört auf alle — oder keinen; das kommt ganz auf ihre Laune an. Denn Muppi ist eine Katze mit Launen. Vielleicht haben alle Katzen Launen. Aber ich bin überzeugt, daß es keine Katze gibt, die meiner Muppi gleicht.

So fanden wir uns: Eines strömenden Regentages stand vor dem Haustor — jämmerlich mauzend — eine erschreckend magere Wenigkeit, die sich bei näherer Betrachtung als glitschnasse Katze entpuppte. Ich nahm sie auf den Arm und mit in meine Wohnung, um sie vor dem Unwetter zu schützen und ein bißchen zu füttern. Sie roch wie ein alter Gummimantel. Alle ihre Knochen standen spitz in die Höhe.

Sie schnupperte die Wohnung ab und bestieg dann langsam mein Sofa. Als die Sonne kam, schlief sie noch immer. Dann schlug sie plötzlich die riesigen Augen auf und betrachtete mich unbeweglich.

Da der Regen aufgehört hatte und mein Haushalt nicht auf Katzen eingestellt ist, beschloß ich, sie wieder auf die Straße zu bringen. Ich labte sie also noch einmal mit Milch und setzte sie dann vor das Haustor, auf denselben Fleck, wo ich sie gefunden. Sie sah mich unendlich traurig und vorwurfsvoll an, und ich schämte mich so, daß ich sie wieder mit hinauf nahm. Ich werde sie wohl in den Tierschutzverein bringen müssen, wenn sie sich etwas erholt hat — dachte ich.

Sie stand klein und elend vor mir und sah mich an, während ich über ihr weiteres Schicksal nachdachte. Es fiel mir ein, daß so ein Tierchen auch hin und wieder gewisse Bedürfnisse hat. In Ermangelung einer Kiste nahm ich meine Mistschaufel, streute Geschirrsand darauf und bedeutete dem kleinen Vieh durch Gebärden, was es damit für eine Bewandtnis habe. Zu meinem Entzücken machte sie sofort von der Einrichtung Gebrauch. Ich glaube nicht, daß es zu diesem Zeitpunkt unbedingt notwendig gewesen wäre, sondern sie wollte mir nur beweisen, daß sie begriffen habe. Dann kletterte sie auf den Küchentisch, rollte sich ein und schickte sich an, wieder zu schlafen. Sicherlich, eine schlafende Katze gehört nicht auf den Küchentisch. Aber bevor ich ihr dies begreiflich machen konnte, schlief sie bereits so fest, daß ich nicht das Herz hatte, sie zu wecken.

Ja, so war der erste Tag. Sie tat alles, um sich angenehm zu machen und meine Liebe zu erringen. Sie schien fürchterlich ausgehungert und fraß alles, was ich ihr hinlegte. Die übrige Zeit verschlief sie. Spielen wollte sie nie. Wie herrlich der Faden oder das Bändchen auch war, das ich vor ihrer Nase hin und her bewegte, sie streckte- kein Krällchen danach aus. Ich mußte sie stundenlang allein lassen, und kam ich wieder, lag sie genau so, wie ich sie verlassen hatte.

So vergingen die ersten Wochen. Nun ist Muppi neun Monate bei mir. Ich tue alles, um ihre Sympathie zu erhalten, aber sie tyrannisiert mich trotzdem maßlos. Außerdem ist sie so rund geworden, daß ich mich für sie schäjne. Will ich ihr gewöhnliche Wurst geben, trifft mich ein derart verachtender Blick, daß ich verlegen um Leber eile. Dann streift sie um meine Beine, schnurrt wie eine alte Nähmaschine und legt mir, wenn ich sie aufhebe, ein Pfötchen ins Gesicht. Das ist ihre höchste Gunstbezeigung, und sie geht sehr sparsam damit um.

Wenn Muppi lange allein zu Hause sein mußte und ich die Wohnungstüre endlich wieder öffne, sitzt sie meist dicht davor und beschwert sich in abgehackten Mauztönen über mein spätes Kommen. Aber ich weiß, daß sie sich ungeachtet ihrer Einsamkeit ganz gut unterhalten hat. Sie pflegt nämlich vom Fensterbrett aus den Sturzflügen der Spatzen zuzuschauen und dabei hinauszuschimpfen.

Jede Fliege ist für Muppi ein begehrtes Jagdobjekt, dem man ohne Rücksicht auf Hindernisse durch die ganze Wohnung über Tische und Stühle nachsetzen kann. Doch Blumen scheint sie über alles zu lieben. Dies merke ich daran, daß ich manchmal, nach Hause kommend, die Scherben eines meiner Blumentöpfe auf der Erde vorfinde — während Muppi Erdkügelchen vor sich herrollt.

Allerdings legt sie dann sofort die Ohren zurück, wenn sie mich nach so einer Missetat erblickt, und taucht unter das Bett, wohin ich ihr, wie sie weiß, nicht folgen kann. Dort liegt sie dann ganz flach auf dem Boden und wartet das Ende der Strafpredigt ab, die ich, gleichfalls auf der Erde liegend, unter das Bett halten muß. Sie schließt dabei die Augen und wartet resigniert, bis ich erschöpft bin. Wir sind dann beide froh, wenn mein nutzloser Erziehungsversuch vorbei ist.

Besuche meiner weiblichen Verwandten mit Einkaufstaschen schätzt sie sehr, weil man in diese Taschen so wunderbar hineinkriechen kann. Auf strafende Klapse reagiert sie mit vorwurfsvollen Blicken und Empörungsmauzern, die wie: „Grim-gram“ klingen.

Wir spielen auch oft miteinander. Sehr beliebt ist das Spiel „Wer fürchtet sich eher?“. Das geht so: Muppi mimt einen Löwen, lauert mir auf und springt mich an. Ich habe darauf empört zu sein und muß unbedingt versuchen, sie zu erwischen. Allerdings spielt Muppi niemals fair, denn wenn ich sie einmal wirklich fange, setzt sie sich sofort nieder, spielt nicht mehr weiter und mauzt. Ich höre dann auch auf. Aber etwas später fällt sie mich dann heimtückisch aus einer anderen Ecke an und freut sich riesig, wenn ich erschrecke.

O Muppi! Wieviel Arbeit habe ich deinetwegen schon versäumt! Auch ins Kino wage ich kaum noch zu gehen, weil ich nachher deine Vorwürfe fürchte. Dir gebe ich die Wurst und mir bleibt die Haut. Mein Lieblingsplätzchen auf der Couch habe ich räumen müssen, weil du dort „wohnst“! Wie komme ich eigentlich dazu, Muppi?

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