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Tierexperimente

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Vor einigen Jahren machte sich der berühmte „vierte Leitartikel“ in den Londoner „Times“ über eine vielleicht fiktive Dame lustig, die zu ihrem Hund gesagt haben soll: „Darling, wir müssen langsam nach Hause gehen, in einer halben Stunde kommt der Installateur.“ Der gute Feuilletonist hinkte seinem Zeitalter ein wenig nach: Wissenschaftler in Italien haben nach einschlägigen Untersuchungen den Wortschatz einiger hochintelligenter Hunde auf ungefähr 500 Wörter geschätzt. Die meisten Hundebesitzer haben einen hohen Grad an Verständigung zwischen Mensch und Tier erreicht: beim eigenen Schäferhund genügten die ohne besondere Betonung gesprochenen Worte „Leider ist heute Sonntag, ich gehe in die Kirche“:

schon wurde ein wilder Freudentanz jäh abgebrochen, und strahlende Erwartung machte einer Miene düsterster Enttäuschung Platz.

Die Soziologin Elisabeth Mann-Borghese hatte schon immer die wissenschaftliche Arbeit auf diesem Gebiet verfolgt, sie wußte, daß es in Brescia einen Hund gab, den man geradezu als Genie bezeichnen konnte. Endlich hatte sie Zeit, sie packte Testmaterial ein und fuhr nach Brescia, wo sie das folgende Experiment durchführte: Ein Bilderbuch wurde aufgeklappt, und zwar so, daß zwar der Hund, aber weder sie selbst noch die Besitzerin des Hundes die Abbildung sehen konnten. Nach wenigen Sekunden schloß sie das Buch und legte es beiseite, der Hund aber machte sich

gleich an die Arbeit. Aus den Kartonbuchstaben, mit denen er zu lernen gewohnt war, wählte er sieben und legte sie fein säuberlich nebeneinander; das Wort, das sich daraus ergab, war „cavalli“. Erst jetzt machte man das Bilderbuch an der markierten Stelle auf — es waren Pferde. Eine Täuschung? Kaum. Wie hätte die Dame ihrem Hund helfen sollen? Ebensowenig dürfte Frau Mann-Borghese — sie ist übrigens die jüngste Tochter von Thomas Mann — als leichtgläubig zu bezeichnen sein. Im weiteren Verlauf dieses Werkes erzählt sie von den langwierigen Versuchen, die sie mit ihrem eigenen Hund, unter Hinzuziehung einer speziell konstruierten elektrischen Schreibmaschine mit tellergroßen Tasten, durchführte. Zum Schluß stand sie noch immer vor einem Rätsel: sehr, sehr selten, aber immerhin manchmal, schien der Hund spontane Antworten zu geben. Das heißt, und man muß es betonen: er bediente sich der menschlichen Sprache. War man in der Verständigung zwischen Mensch und Tier einen Schritt weitergekom-menn? Zur Überlegung eine weitere Anekdote: Eines Tages diktierte die Wissenschaftlerin: „Braver Hund kriegt Knochen.“ Der Hund war an diesem Tage schlecht aufgelegt. Er arbeitete an dem Text, lief aber immer wieder weg, ärgerte sich. Endlich stand das Geschriebene da, aber nun lief er rasch wieder zur Schreibmaschine und tippte ganz schnell die Worte „Böser Hund“.

Nun, sagt Frau Mann-Borghese, das war wahrscheinlich doch ein Zufall, man darf nicht mit Sicherheit annehmen, daß der Hund imstande war, spontan zu antworten. Man könne nicht mehr sagen, als daß die Äußerung mit seiner Seelenlage völlig übereinstimmte; eine Reihe von anderen Aussagen, die innerhalb seines Repertoires lagen, hätten ebenso dazupassen können.

Die Fähigkeit, Wissen aufzuspeichern, hat nicht wenig mit Intelligenz zu tun, und das sprichwörtliche Gedächtnis des Elefanten könnte zum Teil eine Erklärung für seine hohe Intelligenz liefern. Im zweiten Teil ihres Buches erzählt die Autorin von Beobachtungen, die sie im südindischen Staat Kerala machte; in diesem Gebiet leisten Elefanten in der Holzwirtschaft unersetzliche Dienste. Den Unkundigen überrascht es, zu erfahren, daß der Elefant, sobald die Zähmung — eine Prozedur, die nur wenige Tage in Anspruch nimmt — unter der Mithilfe von Artgenossen vollzogen ist, am Abend ruhig in den Wald zurückkehren darf; er wird am nächsten Morgen ganz gewiß zurückkehren. Die Paarung erfolgt ausnahmslos in diskreter Entfernung von der menschlichen Siedlung, und oft zwischen domestizierten und in. freier Wildbahn lebenden Elefanten.

Nach dieser Studienreise widmete sich Frau Mann-Borghese einem Schulkind anderer Art: einem dreijährigen Schimpansen. Dieser Bericht ist wegen der Einsicht der Autorin in die psychische Auswirkung des traumatischen Erlebnisses der Gefangennahme im tropischen Urwald und der Übersiedlung in den Zustand der Sklaverei besonders sympathisch. Sie warnt auch vor Gefahren: Der Laie möge sich auf keine Experimente mit Menschenaffen einlassen. Sie sind ungemein kräftig, man muß sich ständig um sie kümmern, und ihre Anhänglichkeit ist enorm. Daher darf man nicht ermüden und den Schimpansen weggeben. Tut man es, zerbricht man ihm das Herz, und die Folge ist Depression und Verrohung des Charakters.

WIE MAN MIT DEN MENSCHEN SPRICHT. Von Elisabeth Mann-Borghese. Scherz-Verlag, Bern-München-Wien. 194 Seiten.

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