Warteschleife ins Jenseits

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Seit Jahren ringt Elisabeth Kübler-Ross, Sterbeforscherin von Weltruf, selbst mit dem Tod. Nun kommt eine Dokumentation über die so engagierte wie unbequeme Schweizerin ins Kino.

Sie winkt quer durch den Raum, eingekeilt in ihrem Lehnstuhl, halbseitig gelähmt, doch mit wachem Blick. Neben sich auf der Ablage hat sie eine Scheibe Brot vom Frühstück aufbewahrt - für den Fall, dass sie zwischendurch der Hunger überfällt. Lange, einsame Tage vergehen, bis endlich ihre Pflegerin Anna vorbeikommt; hierher, in das abgelegene Haus mitten in der Wüste Arizonas, wo die Pionierin der Sterbeforschung auf ihr eigenes Sterben wartet.

Es ist eine berührende Szene, die der Schweizer Regisseur Stefan Haupt an den Beginn seiner Dokumentation stellt. "Elisabeth Kübler-Ross: Dem Tod ins Gesicht sehen" lautet der Titel seines sensiblen Porträts über die Schweizer Ärztin, das ab kommenden Freitag im Wiener "Filmcasino" zu sehen ist.

Trotzkopf und Widerborst

"Es war ein Wesenszug von ihr, dass sie sich immer auf ihre eigene Stärke beziehen konnte und eine Trotzigkeit, eine charmante Widerborstigkeit besaß. Jetzt ist es für sie natürlich umso schwieriger, abhängig zu sein", erzählt Haupt, der Elisabeth Kübler-Ross ab 1999 mehrmals in Arizona besucht hat.

Mittlerweile hat ihre Abhängigkeit noch weiter zugenommen: Nach einem Sturz im September 2002 lebt sie heute in einem Pflegeheim in der Nähe ihres Sohnes Kenneth und versucht mühsam zu lernen, was sie selbst Zeit ihres Lebens sterbenden Menschen ans Herz gelegt hat: Selbstliebe. Unterordnung. Akzeptanz.

Eigenschaften, die der Rebellin stets zuwider waren. 1926 als eine von drei Drillingsschwestern in Zürich geboren, studiert Elisabeth Kübler gegen den Willen ihrer Eltern Medizin. Nach ihrer Heirat mit dem amerikanischen Arzt Emanuel Ross übersiedelt sie in die USA. Am Billings Hospital in Chicago stößt sie schließlich auf das Arbeitsfeld, das sie nie mehr loslassen wird: der Umgang mit Sterbenden. Sie erfährt von der Einsamkeit todkranker Menschen, von ihren Ängsten - und von der Negierung ihrer Existenz im Krankenhaus: "Man mied sie und ließ sie allein", erinnert sich Kübler-Ross. Angeregt durch Theologiestudenten beginnt sie 1965 ihre legendären Vorlesungsreihen, in denen sie Gespräche mit sterbenskranken Patienten führt, die von ihrem Leiden erzählen. Eine Methode, mit der sie die gesamte Fakultät polarisiert: Man ist entweder für oder gegen sie.

Vier Jahre später veröffentlicht sie ihre Erfahrungen und Erkenntnisse im Buch "On Death and Dying" ("Interviews mit Sterbenden") - und erlangt über Nacht weltweite Berühmtheit. Rastlos reist sie fortan rund um den Globus, veranstaltet Vorlesungen und Workshops, schreibt über 20 Bücher, die in mehr als 25 Sprachen übersetzt werden und wird mit 23 Ehrendoktortiteln wohl die akademisch meist ausgezeichnete Frau der Welt.

Vor allem durch die von ihr beschriebenen Sterbephasen macht sich Kübler-Ross einen Namen. Todkranke Menschen würden fünf Stadien durchlaufen, meint sie: das Nichtwahrhabenwollen ("Nicht ich, das kann unmöglich mir passieren"), den Zorn ("Warum ausgerechnet ich?"), das Verhandeln (Hadern mit Gott), die Depression (Das Spiel ist aus) und schlussendlich die Zustimmung (Es ist gut so). "Es sind Mechanismen zur Bewältigung extrem schwieriger Situationen", meint Kübler-Ross. "Sie alle wirken unterschiedlich lange Perioden hindurch, lösen einander oft ab, existieren aber auch nebeneinander."

Eine Theorie, die jedoch nach Meinung mancher Experten mittlerweile von anderen Modellen abgelöst wurde: "Die Fixierung auf eine linear verstandene Stufung ist heute weitgehend obsolet", meint der Jesuit Klaus Schweiggl, Seelsorger des mobilen Caritas-Hospizteams in Wien und Mitarbeiter der Kardinal König Akademie, im Furche-Gespräch. "Spiralförmige Modelle sind realistischer. Es gibt Situationen, die man durchschreitet, aber natürlich auch Rückgriffe." Nichts desto trotz seien die Verdienste der Schweizer Ärztin als Wegbereiterin der Hospizbewegung - neben der Engländerin Cicely Saunders - unbestritten.

Höchst umstritten ist freilich jener Bereich, dem sich Elisabeth Kübler-Ross in den siebziger Jahren zuwendet: dem Leben nach dem Tod. In einem Zentrum nahe San Diego sucht sie nach wissenschaftlichen Beweisen für ein Weiterleben im Jenseits (siehe unten). Es kommt zur Schließung des Zentrums. Auch ihre Ehe wird geschieden. Doch die Rebellin gibt nicht auf: Sie kauft eine Farm in Virginia und plant darin ein Hospiz für aidskranke Kleinkinder. Auch hier scheitert sie: 1994 wird ihr Zentrum "Healing Waters" durch Brandstiftung völlig zerstört.

Tod in Theorie und Praxis

Schließlich zieht Elisabeth Kübler-Ross nach Arizona, wo sie heute nahe jenem Übergang lebt, den sie jahrelang leidenschaftlich erforscht hat. "Das Bethle hat den Tod immer verherrlicht. Aber sie selbst meint jetzt: Ich muss noch dies und das machen'", kommentiert Erika Faust-Kübler vor der Kamera das zwiespältige Verhältnis ihrer Schwester zum Sterben.

Inzwischen ist Erika selbst verstorben. Elisabeth jedoch ringt weiter und erträumt sich Tag für Tag, was im Jenseits wohl auf sie warten wird: "Ich möchte Gandhi treffen", gesteht sie Stefan Haupt verschmitzt. "C.G. Jung und Gandhi sind meine Lieblinge." Und dann, dann will sie durch die Galaxien tanzen. "Darauf freue ich mich schon jetzt."

ELISABETH KÜBLER-ROSS

Dem Tod ins Gesicht sehen.

CH 2002. Regie: Stefan Haupt. Mit Elisabeth Kübler-Ross, Erika Faust-Kübler, Eva Bacher-Kübler. Verleih: Polyfilm.

98 Min. Ab 28. November täglich um

18 Uhr im Wiener Filmcasino.

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