Es ist reiner Zufall, dass Franz Jägerstätter und Martin Walser diese Woche nebeneinander das FURCHE-Cover prägen. Dem einen hat Otto Friedrich anlässlich des 80. Jahrestags von dessen Ermordung durch die Nationalsozialisten einen Fokus gewidmet. Der andere ist vergangenen Freitag 96-jährig verstorben.
Wie kaum ein zweiter deutschsprachiger Schriftsteller hat Martin Walser die Öffentlichkeit gespalten: Die einen verehrten den „Romantiker vom Bodensee“, die anderen sahen ihn als astreinen Antisemiten. Dass nun beide Männer zufällig nebeneinander prangen, ist freilich auch eine Anregung, diese zwei so unterschiedlichen Leben und ihre Rezeptionsgeschichten näher zu betrachten. Denn auch die Seligsprechung des Kriegsdienstverweigerers Jägerstätter aus St. Radegund war nicht unumstritten, wie der Linzer Bischof Manfred Scheuer in seinem exzeptionellen Text verdeutlicht. Und neben allen Verirrungen hat Walser eben auch neue Wege in der Literatur beschritten. Anton Thuswaldner, der Walser und dessen Spleens persönlich kannte, beschreibt das in seinem Nachruf. Daneben hat er für uns auch „Nathan der Weise“ und „Liebe (Amour)“ in Salzburg angesehen – Thuswaldner-Festspiele quasi.
Was ich Ihnen ansonsten in dieser Ausgabe besonders empfehlen möchte: das Interview mit Thomas Starlinger über Neutralität und die NATO, die erhellende Analyse über die Gründe der sozialen Spannungen in Frankreich, den Auftakt unserer neuen Porträtreihe „Gesichter des Zusammenhalts“, in der Christine Dobretsberger „Systemerhalterinnen“ vor den Vorhang holt, den neuen Brief von Hubert Gaisbauer an Johanna Hirzberger über Barbie-Hass und Sammelwut – und Martin Tauss’ Kritik des Buches „Vom Mythos des Normalen“. „Normal“ zu sein ist demnach gar nicht so gesund. Aber das ahnten Sie wohl ohnehin.
