Normalität Psyche Gesundheit Gesicht - © Illustration: iStock / Sergei Krestinin

Sucht & Trauma: Ungesunde Normalität

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In seinem "Opus magnum" wirft Gabor Maté einen revolutionären Blick auf Sucht und andere chronische Krankheiten – und beschreibt sie als Anpassung an zutiefst schädliche Umstände.

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In seinem "Opus magnum" wirft Gabor Maté einen revolutionären Blick auf Sucht und andere chronische Krankheiten – und beschreibt sie als Anpassung an zutiefst schädliche Umstände.

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Wer sich wie ein Fisch im Wasser bewegt, dem fällt es schwer, das Offensichtlichste zu begreifen. Das zeigt ein Gleichnis, in dem zwei Forellen auf einen älteren Artgenossen treffen. „Guten Morgen Jungs! Wie ist das Wasser?“, grüßt er sie freundlich. Die beiden jungen Fische schwimmen eine Weile weiter, bis schließlich einer von ihnen den anderen fragt: „Was zum Teufel ist Wasser?“ Die Episode stammt vom amerikanischen Schriftsteller David Foster Wallace; zitiert wird sie im neuen Sachbuch des kanadischen Arztes Gabor Maté. In „Vom Mythos des Normalen“ (2023) beschreibt der Bestsellerautor, dass es in unserer modernen Gesellschaft Phänomene gibt, die – wie das Wasser für die Fische – zu nah, zu gewaltig, zu durchdringend sind, um überhaupt wahrgenommen zu werden: „Die Elemente des täglichen Lebens, die uns als normal erscheinen, sind genau die, die unbedingt von uns überprüft werden sollten.“ Seine Diagnose: Wir schwimmen in einer toxischen, stressdurchtränkten Kultur.

Kindheit im Budapester Ghetto

Was Gabor Maté wohl zur hiesigen Debatte gesagt hätte, in der führende ÖVP-Politiker(innen) jüngst die Normalität des Autofahrens und Schnitzelessens beschworen haben? Vielleicht das: „Weitaus mehr als der Mangel an technologischem Wissen, ausreichenden finanziellen Mitteln oder neuen Erkenntnissen ist die verzerrte Vorstellung von Normalität in unserer Kultur die größte Hemmschwelle für eine gesündere Welt.“ Das Zitat stammt aus der Einleitung, worin der Arzt und Traumaspezialist seine Zielsetzung umreißt: Mit einem ganzheitlichen Blick auf wissenschaftliche Befunde will er zeigen, „dass vieles von dem, was in unserer Gesellschaft als normal gilt, weder gesund noch natürlich ist“. Mehr noch, „dass Normalität in der modernen Gesellschaft häufig die Anpassung an Anforderungen bedeutet, die in Bezug auf unsere naturgegebenen Bedürfnisse zutiefst anormal sind – das heißt ungesund auf körperlicher, geistiger und sogar spiritueller Ebene“. Was heißt das konkret?

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