Gefährlich normal
Nach den Freiheitlichen hat nun auch die Volkspartei die „Normaldenkenden“ entdeckt. Angesichts des neuen SPÖ-Chefs will man die Mitte adressieren – und übernimmt die Sprache der Autoritären.
Nach den Freiheitlichen hat nun auch die Volkspartei die „Normaldenkenden“ entdeckt. Angesichts des neuen SPÖ-Chefs will man die Mitte adressieren – und übernimmt die Sprache der Autoritären.
E s war 2018, als der österreichische Sprachphilosoph Paul Sailer-Wlasits einen neuen Begriff kreierte: „Neue Normalität“. Donald Trump saß gerade im Weißen Haus und erschuf mithilfe von Twitter und radikaler Gewissenlosigkeit eine neue Welt alternativer Fakten. Im Frühjahr 2020 trug schließlich eine neue Seuche das Gefühl des Zeitenbruchs in alle Haushalte. „Neue Normalität“ wurde zum politischen Schlagwort, das in keiner Rede fehlen durfte. Auch nicht in jenen von Sebastian Kurz.
Wer dabei „die Normalen“ sind, war und ist freilich eine eigene Frage. Diese setzt Distinktion voraus, Abgrenzung, die Einteilung in jene, die einer festgesetzten Norm entsprechen – und jene, die als abnormal zu qualifizieren sind. Wir und Sie: So lässt sich dieses identitäre Gesellschaftskonzept, das Feindbilder wie die Luft zum Atmen braucht, in Worte fassen.
Die Pandemie hat diesen Graben verbreitert; und der Populist Herbert Kickl hat ihn genial vertieft. Die „Normalen“, das waren damals die „Selberdenker“, die sich von keiner Regierung und keinem Virologen etwas sagen ließen. Dazu kamen noch jene, die sich an „Sprechverboten“ stießen - und am neuen Ziel der Diversität. „Deutschland. Aber normal“, hieß es auf Plakaten der rechtsextremen AfD.
Wen Herbert Kickl als "normale Menschen" sieht und wie er sie erreichen will, verrät er im aktuellen Profil: „Dieses Empfinden, von einer selbst ernannten Elite entmündigt zu werden, sitzt tief. Die Leute wollen jemanden, der ihnen zuhört, sie ernst nimmt und sich an ihren Interessen orientiert.“ Einen „Volkskanzler“ eben, der nicht nur die Antithese zum „Systemkanzler“ sei, sondern dessen Überwindung.
Völkische Gefühle statt Parlament
So deutlich Kickl hier wird, so klar ist die Geschichte der von ihm verwendeten Begriffe: Beide kommen aus dem Nationalsozialismus, beide fußen auf dem Konzept der identitären Demokratie des autoritären Vordenkers und Hitler-„Kronjuristen“ Carl Schmitt. Nicht lästige Wahlen und die repräsentative Demokratie sind demnach die Grundpfeiler der Macht – sondern das völkische Gefühl und die Einheit von Führer und Geführten. Abnormal war in dunkelster Zeit nicht selten ein Todesurteil.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!
