Herbert Kickl und die Sprachgrenze

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Niemand soll sagen, man habe nicht gewusst, wohin die politische Reise in Österreich geht. Für staatspolitisch Agierende scheint es keine roten Linien mehr zu geben. Das ist gefährlich.

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Niemand soll sagen, man habe nicht gewusst, wohin die politische Reise in Österreich geht. Für staatspolitisch Agierende scheint es keine roten Linien mehr zu geben. Das ist gefährlich.

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Auch religiös unmusikalische Zeitgenoss(inn)en darf man dieser Tage mit der kulturgeschichtlichen Botschaft von Pfingsten behelligen. Denn die Erzählung dieses Festes kreist um das „Wunder“ des Verstehens: Obwohl Menschen aus aller Welt in Jerusalem versammelt waren, verstanden sie die Botschaft der Apostel: „Jeder hörte sie in seiner Sprache reden.“ Pfingsten ist für Christinnen und Christen ein Sprachfest – und ein Gegenbild zur gleichfalls biblischen Erzählung des Turmbaus zu Babel im Buch Genesis: Dort verwirrte sich die Sprache der Menschen, weil sie sich anmaßten, über allem zu stehen.

Religiöse Traditionen transportieren auch Menschheitswissen, das mag an diesen beiden Beispielen deutlich werden. Und auch nur ein flüchtiger Blick auf aktuelle politische Entwicklungen legt nahe, dass Sprache unübersehbar ein Thema ist. Denn dass die autoritäre Versuchung auch hierzulande an Boden gewinnt, lässt sich auch und gerade an der Sprache, die verwendet wird, ausmachen.

Man sage nicht, dass die Gefahren von rechts nicht wahrnehmbar waren. Im Gegenteil: Seit Jahr und Tag ist an der Sprache erkennbar, wohin diese Reise führen soll. Erschütternd, dass das alles en passant geschieht und vom Gros der Demokratinnen und Demokraten im Land keine roten Linien ausgemacht werden.

Herbert Kickls Extremismus

Die Sprachwissenschafterin Ruth ­Wodak und ihr Kollege Martin Reisigl haben dieser Tage im Standard einmal mehr auf den sprachlichen Extremismus von Herbert Kickl aufmerksam gemacht (zum wievielten Mal eigentlich?) und darauf, dass all dessen Unverfrorenheit schon lang auf dem Tisch liegt. Dass der nunmehrige FPÖ-Obere schon vor Jahren Flüchtlinge in Lagern „konzentrieren“ wollte, hat man ebenso hingenommen wie die Rede vom „Volkskanzler“, der Kickl sein will. Dieser Ausdruck wurde einst für Adolf Hitler verwendet …

Herbert Kickl kokettiert mit der Sprache des Nationalsozialismus. Wer das anno
2023 tut, ist politisch nicht satisfaktionsfähig. Jedenfalls für aufrechte Demokrat(inn)en nicht. Und wer das als bloße NS-Rhetorik abtut, verschließt die Augen vor der Entwicklung, die stracks in Zeiten führt, die niemals wiederkommen sollten. Es muss rote Linien geben und auch – ja – eine Sprachgrenze, die politisch nicht überschritten werden dürfte.

Leider sind die roten Linien längst obsolet geworden. Nein, Frau Landeshauptfrau in St. Pölten, nein, Herr Landeshauptmann in Salzburg, kein „Wählerwille“ hat Sie gezwungen, sich mit den Kickl-Parteigänger(inne)n ins Bett zu legen! Dass die bürgerlich-konservativ-christdemokratische Partei da keine Grenzüberschreitung scheut, ist extrem kurzsichtig. Denn wer waren in der Zwischenkriegszeit die Steigbügelhalter für Europas Totengräber?

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