Kurz muss weg? Kritik der "kritischen" Rhetorik

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Ob Verschwörungsideologin, Oppositionspolitiker oder Großliterat: Viele beanspruchen für sich, widerständige Geister zu sein. Doch Trotz oder Polemik ist nicht aufgeklärte Kritik. Ein Gastkommentar.

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Ob Verschwörungsideologin, Oppositionspolitiker oder Großliterat: Viele beanspruchen für sich, widerständige Geister zu sein. Doch Trotz oder Polemik ist nicht aufgeklärte Kritik. Ein Gastkommentar.

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Politik ist kein Ponyhof, und ein ­Parlament kein Wochenendseminar für sensible Seelen, die sich gegenseitig durch wertschätzendes Feedback stärken. „Sebastian, du bist unzufrieden, aber du hast dein Bestes gegeben. Nimm dich so an, wie du bist.“ – „Danke, Herbert, das hast du schön gesagt. Du baust mich echt auf.“ So läuft das natürlich nicht, und es ist nicht nur im eigenen Parteiinteresse, sondern auch Aufgabe einer parlamentarischen Opposition, Schwachstellen einer Regierung zu kritisieren. Der Begriff „Kritik“, in seinen griechischen Ursprüngen vor allem für richterliches Urteilsvermögen verwendet, muss mittlerweile allerdings für vieles herhalten, das bestenfalls als Karikatur des Kritikvermögens taugt. Jeder hoffnungslos verirrte Verschwörungsideologe rühmt sich heute, ein besonders „kritischer“ Geist zu sein, der sich von der dumpfen Masse manipulierter Idioten hellsichtig abhebt.

Schon in der antiken Rhetorik standen ei­nander zwei Richtungen gegenüber. Für die eine Seite, die sophistische, war das Ziel einer Rede dann erfüllt, wenn sie die gewünschte Wirkung erreichte. Der Zweck ist beliebig, und er heiligt die Mittel. Die andere Seite, repräsentiert durch Philosophen wie Aristoteles oder Cicero, beharrte hingegen auf dem Kriterium der Wahrheit – oder zumindest der Wahrheitssuche, denn Wahrheit ist nicht immer erkennbar, und ein kritischer Geist zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass er weiß (und ausspricht), was er nicht weiß.

Unzufriedenheit ist unvermeidlich

In der Konfrontation mit einer bislang unbekannten gesundheitspolitischen Herausforderung bleibt uns der mühselige Weg von Versuch und Irrtum nicht erspart. Wir wissen vieles nicht, aber wir wissen immer mehr, dank einer ambitionierten medizinischen Forschung auf hohem Niveau. Verantwortungsvolle Regierungspolitik hört ihr zu und versucht, sie mit anderen Faktoren wie Wirtschaft, Arbeit, Schule und psychosozialer Befindlichkeit irgendwie in Einklang zu bringen. Einfach ist das nicht, Unzufriedenheit ist unvermeidlich.

Dass man den schwierigen Weg der Verantwortung in der Oppositionsrolle grundsätzlich mitgehen kann, ohne dadurch an kritischem Profil einzubüßen, beweist derzeit Pamela Rendi-Wagner, nicht zuletzt durch eine wohltemperierte Sprache. Chapeau! Auf der anderen Seite des Oppositionsspektrums tobt sich Freiheitskämpfer Herbert Kickl in grotesken Widerstandsposen aus: „Kurz muss weg!“ Das darf er sich zwar wünschen, aber vorrangig muss diese Pandemie weg. Dass die Chance darauf steigt, wenn Kurz durch Kickl und Anschober durch Belakowitsch ersetzt werden, halte ich für unwahrscheinlich. Oppositionspolitik darf ruhig einmal kantig sein, aber sie muss trag­fähige Alternativen anbieten. Sonst ist sie nichts anderes als demagogische Polemik.

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