Armenische Spuren in Galizien

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Das Lemberger Evangeliar, zur Zeit unbekannten Aufenthalts, zeugt von der Geschichte der katholischen Armenier.

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Das Lemberger Evangeliar, zur Zeit unbekannten Aufenthalts, zeugt von der Geschichte der katholischen Armenier.

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In der Donaumonarchie lebten auch Armenier, deren Zentrum Lemberg bis 1945 Sitz eines armenisch-unierten Erzbischofs, war. Zum kostbarsten Besitz der Gemeinde gehörte eine Handschrift aus dem 12. Jahrhundert, das Lemberger Evangeliar, dessen abenteuerliche Wege ein Prachtband schildert.

Christliche Mission kam in Armenien bereits im Jahre 301 zum Durchbruch, als der heilige Gregor den König Trdal III. bekehrte, der das Christentum zur Staatsreligion erhob. Das Bekenntnis zur armenischen Nationalkirche, die sich durch die Ablehnung der Lehren des Konzils von Chalkedon im Jahre 451 von den übrigen Ostkirchen unterscheidet, trug ganz wesentlich zum Überleben der Armenier bei, die in ihrer exponierten Lage an der Brücke zwischen christlichem Abendland und islamischem Orient immer wieder Verfolgungen ausgesetzt waren.

Nach der Zerstörung ihrer Hauptstadt Ani im Jahr 1064 durch die Seldschuken flohen viele Armenier über die Krim nach Südosteuropa. Weitere Fluchtwellen wurden durch das Vordringen der Mamelucken und der Osmanen ausgelöst. Ein Zentrum der Emigration wurde Lemberg, wo eine armenische Gemeinde schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts nachweisbar war. Sie erhielt dort im 14. Jahrhundert eigene Gerichtsbarkeit und das Recht zur freien Religionsausübung. Durch den risikoreichen, aber auch einträglichen Orienthandel mit den Märkten Polens, Preußens und Litauens gelangten Lembergs armenische Kaufleute zu Ansehen und Wohlstand. Im 17. Jahrhundert schloß sich die armenische Gemeinde der Kirche Roms an. Nach der Annexion Lembergs durch die Sowjets verließen fast alle Armenier die Stadt und fanden in Polen eine neue Heimat. Das Zentrum dieser etwa 6.000 katholischen Armenier liegt heute in Gleiwitz unter einem von Kardinal Glemp ernannten Generalvikar.

Zu den kostbarsten Schätzen des armenischen Volkes gehören alte Handschriften und Bücher, wovon der Matendaran, das Haus der Bücher, in Armeniens Hauptstadt Jerewan zeugt. Die dort aufbewahrten 10.000 Handschriften stammen meist aus Klosterbibliotheken, zu denen Skriptorien mit Buchmalern gehörten. Auch die Mechitaristenklöster in Wien und auf der Insel San Lazaro verfügen über solche Buchschätze. Die wertvollen armenischen Handschriften in Lemberg wurden im Zweiten Weltkrieg zerstreut oder zerstört, das Prunkstück, das Lemberger Evangeliar, schien verloren.

Das Evangeliar entstand im 12. Jahrhundert durch den Priester Gregor im Kloster Skevra in Klein-Armenien. Es war gerade vollendet, als der Rubenidenherrscher in Tarsus durch das Oberhaupt seiner Kirche 1199 zum König Leo I. von Armenien gesalbt wurde und bei dieser Gelegenheit vom Erzbischof von Mainz, Konrad von Wittelsbach, als päpstlichem Legaten und Repräsentanten des römisch-deutschen Kaisers die königlichen Insignien erhielt. Nach dem Einfall der Mamelucken gelangte das Evangeliar über die Krim nach Lemberg.

In Polen versteckt ...

1993 wurde dem Mainzer Byzantinisten Professor Prinzing bei einem privaten Besuch des Diözesanarchivs von Gnesen ein Kodex gezeigt, dessen Aufbewahrungsort noch keinem Außenstehenden bekannt war. Prinzing fand bestätigt, daß er das verschollene Lemberger Evangeliar vor sich hatte. Es war 1946 auf geheimen Wegen nach Polen und schließlich nach Gnesen gelangt.

Professor Prinzing erreichte im Einvernehmen mit den polnischen Kuratoren, das Evangeliar 1996 nach Mainz zu bringen, im Gutenberg-Museum restaurieren zu lassen und wissenschaftlich auszuwerten. Zu den Kosten trugen namhafte Stiftungen und das New Yorker Metropolitan Museum of Art bei, das von polnischer Seite das Evangeliar als Leihgabe für die Ausstellung "Glory of Byzantium" im Jahr 1997 zugesagt bekam.

Die gute Zusammenarbeit der Beteiligten wurde getrübt, als Erzbischof Muszynski von Gnesen, auf den anscheinend Druck ausgeübt wurde, plötzlich ohne Angabe von Gründen auf die sofortige Rückführung des Evangeliars nach Abschluß der Restaurierung trotz der Abmachung mit dem Metropolitan Museum bestand. So kehrte das Evangeliar im März 1997 ohne den vorgesehenen Weg über New York nach Polen zurück, wo es wahrscheinlich auf Weisung Kardinal Glemps an einen unbekannten Ort gebracht wurde.

Das Lemberger Evangeliar umfaßt über 426 Pergamentblätter und entsprechend der Tradition der armenischen Buchmalerei vier Evangelistenbilder und acht Kanontafeln in Gestalt portalhafter Arkaden; das sind tabellarische Zusammenstellungen inhaltlich gleicher Textstellen, die den Evangelien vorangestellt werden. Das Evangeliar ist außerdem mit Marginalzeichnungen, Initialen und Schmuckleisten illustriert, die neben biblischen Motiven Tiere, Pflanzen, Menschenköpfe und Fabelwesen zeigen.

Die Teilfaksimileausgabe behandelt in einzelnen Kapiteln die Bedeutung und die Geschichte des Evangeliars, seine Entstehung und die Einzelheiten der Restaurierung. Sehr ausführlich werden der künstlerische Wert und die kunsthistorischen Bezüge im Vergleich mit anderen Evangeliaren hervorgehoben. Aufschlußreich ist dabei die vollständige Übersetzung der Kolophone, das heißt der arbeitstechnischen Angaben und der späteren Vermerke durch die Armenologin Andrea Schmidt. Weitere Kapitel behandeln die Bedeutung des Klosters Skevra in Kilikien, wo das Evangeliar entstand, und die Geschichte der Armenier in Lemberg und die der armenischen Bestände aus den Bibliotheken der Stadt.

DAS LEMBERGER EVANGELIAR. Eine wiederentdeckte Bilderhandschrift des 12. Jahrhunderts. Hg. von Günter Prinzing und Andrea Schmidt. Dr. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 1997. 190 Seiten, 50 Farb-,. 40 SW-Abb., geb., öS 1.161,

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