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bedeckt mit Tupfen, Ranken, Karos

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Das Ornament ist Dekoration, Symbol, Stimmungs- und Ideenträger und spielt in allen Kulturen eine wichtige Rolle. Eine Schau im M AK-Wien stellt dies dar.

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Das Ornament ist Dekoration, Symbol, Stimmungs- und Ideenträger und spielt in allen Kulturen eine wichtige Rolle. Eine Schau im M AK-Wien stellt dies dar.

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Ob wir sie bewußt wahrnehmen oder nicht, ob wir genau schauen oder nicht, ob wir sie überhaupt sehen wollen oder nicht - täglich sind wir mit Ornamenten in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen und Zusammenhängen konfrontiert.

„Warum empfindet die Menschheit den unwiderstehlichen Zwang, solch ungeheure Mengen von Energie drauf zu verwenden, Gegenstände mit Tupfen, Spiralen, Karos und Ranken zu bedecken”, schrieb der Kunsthistoriker Ernst H. Gombrich 1979 in seinem Buch „Ornament und Kunst”. „Unwiderstehlich” scheint der Zwang tatsächlich zu sein, denn menschliche Umwelt ohne Ornament ist kaum denkbar: Muster und Verzierungen an Gebrauchsgegenständen, Stoffen, Fliesen, Tapeten, Fassaden, Geschäftsportalen ... zeugen von der Allgegenwart und auch der beliebigen Vermarktung des Ornamentes.

Der Begriff „Ornament” leitet sich vom lateinischen Verb „ornare - schmücken” her, bedeutet

Schmuckwerk, Verzierung und im besonderen das einzelne Verzierungsmotiv im Unterschied zur Ornamentik, die die Summe des ornamentalen Vokabulars eines Kulturoder Kunstkreises bedeutet. Einerseits sind Ursprung, Eigenart, Erscheinungsbild und Wirkung des Ornaments Gegenstand philosophischer, ästhetischer und kunsthistorischer Diskurse, andererseits kann man ebenso von einer Alltagsgeschichte des Ornamentes als „offenes Phänomen” sprechen.

Seit der Steinzeit

Seit Vitruv (römischer Architekturtheoretiker, erstes Jahrhundert v. Chr.) galten Schmuck und Ornament in der Kunst als luxuriöses Beiwerk, das man am Bau, an der Plastik, am Gegenstand, am Bild findet, das aber nicht für sich existiert. Die Bezeichnung des Ornamentes als bloße Zutat und die damit verbundene Ablehnung überreicher Schmuck- und Zierformen durchzieht als wiederkehrendes Argumentationsmuster den Ornament-Diskurs, der im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert seinen Höhepunkt fand.

Die Diskussion um den spielerischen Umgang mit Bauformen und Stilmixturen postmoderner Architektur sowie die nahezu hemmungslose Bezeption und Vermarktung besonders der Jugendstil-Ornamentik

zeigt die ungebrochene Aktualität des Themas.

Ornament ist jedoch nicht nur bloße Verzierung, sondern eine Grundform des künstlerischen Ausdrucks des Menschen. Die Anfänge der Ornamentik liegen in der Jungsteinzeit, als die Menschen Behausungen und Gegenstände mit meist geometrischen Motiven schmückten. Es kristallisieren sich wesentliche Merkmale des Ornamentes heraus, die sich über die Jahrtausende bis in unsere Zeit erhalten haben: Schmuck-, Ordnungs- und Unterscheidungsfunktion sowie der Symbol- und zeichenhafte Charakter von Ornamenten.

Eine nicht zu unterschätzende Funktion kommt dem Ornament als Stimmungs- und Ideenträger zu. Durch bewußten Einsatz von Schmuck, Schrift und Verzierung beziehungsweise durch ebenso gezieltes Weglassen alles Ornamentalen wird eine bestimmte Ideologie, eine Wohn- und Lebenskultur vermittelt oder auch vorgetäuscht. Wie sonst ist zu verstehen, daß in einem bestimmten Umkreis der Wiener Ringstraße Ränke, Lampen, Plakatsäulen und sogar Würstelstände verziert und geschmückt werden,

daß Fassadenabdeckungen während eines Umbaus mit Blumengemälden „aufgeputzt” werden?

Wie ist es zu erklären, daß Zahnprothesen in einer Auslage so drapiert werden, als handle es sich um wertvollen Schmuck, daß ein Abfallbehälter in Form eines Pinguins gestaltet wird?

Diesen Fragen nach Absicht, Erscheinungsform und Kontext ornamentalen Gestaltens geht die Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst „Offenes Ornament” nach. Anhand von Originalen werden Ursprung und Entwicklung von Grundtypen abendländischer Ornamentik gezeigt. Musterbücher, Produktkataloge und Fotos machen auf Ornamente im Alltag aufmerksam.

Es lohnt sich, mit „ornamentgeschärftem” Blick durch die Stadt zu gehen, auf Architekturdetails zu achten (vom Kellerfenster bis zu eindrucksvollem Fassadenschmuck), über die Ausstattung von Laden-schildern und den Einsatz von Schrift als Informations- und Stimmungsträger nachzudenken, die Gestaltung von Auslagen zu beobachten, Vorgetäuschtes zu durchschauen, den Schichten der Geschichte im Alltag nachzuspüren. (Bis 28. Mai)

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