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Die Zwerge im Regenwald

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Zufluchtsstätten von Überresten ältester Völker der Menschheitsgeschichte werden vom unaufhaltsamen Vormarsch unserer Zivilisation immer mehr bedroht. Werden die Pygmäen im zentralafrikanischen Regenwald als Wildbeuter überleben können? Der Humanetho-loge Armin Heymer führte seit 1972 Felduntersuchungen zur Etho-Okolo-gie der Pygmäen in der Zentralafrikanischen Republik durch und veröffentlichte seine Beobachtungen in „Die Pygmäen, Menschenforschung im afrikanischen Regenwald". Seine Ergebnisse erweiterte er um die Spuren, welche die Pygmäen in der Geschichte hinterlassen haben, und mit Schlüssen aus genetischen Untersuchungen.

Die Mär von den Zwergmenschen geistert seit Jahrtausenden durch die Mythen, bis hin zum guten oder bösen Zwerg der Märchen. Der Hofzwerg ist ein 4.000 Jahre altes Statussymbol. Die Pharaonen des Alten Reiches ließen vor 4.500 Jahren Pygmäen als kostbare, zauberkräftige Kuriosität an ihren Hof bringen. Vor dreieinhalb Jahrtausenden scheint die Verbindung zu den zentralafrikanischen Pygmäen abgerissen zu sein. Wahrscheinlich wurden die noch außerhalb des Regenwaldes lebenden Pygmäen ausgerottet oder in die Wälder abgedrängt. Die Kunde von den Pygmäen verblieb als höchst unwahrscheinliche Rehauptung in den Schriften der Geographen. Erst im frühen 19. Jahrhundert befaßten sich Forschungsreisende konkret mit den Kleinwüchsigen tief im Urwald.

Durch Kolonialisierung und erleichterten Zugang begann eine Art Wettlauf zwischen Mythenbildung und wissenschaftlicher Fehldeutung. Die einen wollten in den Pygmäen einen Menschen vor der Erbsünde sehen, andere Mißgeburten oder Ergebnis einer ständigen Mangelsituation. Die Österreicher Pater Paul Schebesta, Wilhelm Schmidt und Martin Gusinde von den Steyler Missionaren taten ihr Restes, um das Wissen über die Pygmäen zu vertiefen. In den letzten Jahrzehnten wurden weitere Erkentnisse über die Kleinwüchsigen gewonnen. Untersuchungen der letzten Jahre nach zählen sie zur Sapiens-Altschicht, aus der sich wohl später die Negriden entwickelten. Genetische Analysen sollen zeigen, ob sie Überreste von Menschengruppen darstellen, aus der auch wir, die Europiden, uns entwickelt haben. Doch wird man auf die Ergebnisse noch warten müßen. Der Zentralafrikanische Regenwald ist viel unzugänglicher als der Regenwald etwa des Amazonasbeckens.

Leider scheint Heymer wenig Informationen über das gesellschaftliche, linguistische und ökologische Umfeld eingeholt zu haben, in dem die Pygmäen leben. Auch wenn er, wie er meinte, einige Stunden weit zu Fuß in den „Primärwald" eindrang, müßte er seither doch erfahren haben, daß er sich noch gut 100 Kilometer von seinem Ziel entfernt am Rand des sekundären Regenwaldes befunden hatte. Das ergibt Irrtümer bei der Ein -Schätzung dessen, was er beobachtete. So schlagen seine Pygmäen ihre im Schnitt etwa 40 Personen zählenden Lager nahe dem Waldrand auf, also in der Nähe der Rantu-Dörfer. Das ist typisch für die Situation der Pygmäen, die ja Leibeigene von Rantufa-milien sind, in der Periode ihrer Arbeitsverpflichtung. Das hat Heymer bei seinen Visiten offenbar nicht recht erkannt. Er spricht vage vom „Abhängigkeitsverhältnis". Weit weg von allen Rantus, in der für sie natürlichen Lage, bestehen die Gruppen aus sechs bis maximal zehn Personen, meist zwei oder drei Kernfamilien, wie ich im Verlauf einiger Wochen feststellen konnte, in denen ich während meiner Filmarbeiten mit einer Gruppe Pygmäen im Primärwald wanderte. Sehr gute Einblicke in die Familienverhältnisse der Pygmäen in bezug auf Erziehung und Ehenormen im Vergleich zu denen der Rantus ergibt dagegen Heymers Schilderung der täglichen Abläufe bei Kindern und Erwachsenen. So leben beispielsweise die Pygmäen in Einehe.

Von „Jägern und Sammlern" spricht man meist bei diesen Völkern ohne Ackerbau und Viehzucht. Heymer besteht auf der Formel „Sammler und Jäger". Zu Recht, wie mir aus Erfahrung scheint, denn der größere Teil ihrer Nahrung besteht aus gesammelten Pflanzen und Insekten.

Da wie alle Primaten auch der Mensch von der Evolution nicht als

Raubtier konstruiert wurde, stellt sich die Frage des Überganges. Warum blieb der Mensch nicht Sammler wie der Schimpanse? Die von Heymer erwähnte These, er sei ursprünglich Aasfresser" gewesen und habe den Raubtieren das Jagen abgeschaut, scheint mir unlogisch. Auch die Schimpansen und Gorillas jagen, wenn auch nur Kleinsttiere und Insekten. Der Versuch, wie ein Panther eine Gazelle anzuspringen, brächte ihnen kaum ein Erfolgserlebnis.

Reim Entwicklungssprung der Menschheit zum seßhaften Ackerbauern blieben die Pygmäen auf der Strecke. Heymer beobachtete Versuche, sie ansässig zu machen. Nur etwa zehn Prozent hielten durch und wurden Hackbauern. Der Rest vegetiert mehr oder weniger elend dahin, der Verlust ihrer alten hat ihnen keine neue Identität gebracht.

Wie sich bei näherem Zusehen feststellen läßt, fehlen den Pygmäen keineswegs die technischen Fertigkeiten. Im Dienst der Rantus können sie sämtliche Arbeiten selbständig durchführen. Doch als Kinder werden sie nicht konditioniert, auch nur kurze Tätigkeitsperioden vorauszupla-nen. Das Kind des Ackerbauern dagegen erlebt seine ganze Kindheit lang Vorausplanung und Durchführung der ackerbaulichen Zyklen. Hier liegt auch das Problem mit der Schule. Man lehrt dort nicht, was Pygmäen-kinder brauchen, sondern was Kinder brauchen, die bereits auf Planung konditioniert sind.

Das könnte übrigens ein Dauerproblem der Menschheit sein. Die Bantus müssen sich schon seit mehreren Generationen von der Subsistenz-(Selbstversorgungs-) auf die Marktwirtschaft umstellen. Wie sich immer wieder zeigt, haben die Hackbauern die damit verbundenen mentalen Anpassungsschwierigkeiten noch lange nicht bewältigt. Und auch wir scheinen mentale Schwierigkeiten mit unserer neuen zivilisatorischen Situation zu haben.

DIE PYGMÄEN

Menschenforschung im afrikanischen Regenwald. Von Armin Heymer. List Verlag, München 1995. 539 Seiten, Ln, öS 608,-

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