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Weit über das rein Militärische hinaus.

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Das Österreichische Staatsarchiv, dem das Kriegsarchiv seit dem Jahre 1945 als eine eigene Abteilung angeschlossen ist, hat sowohl hinsichtlich seiner Aufgaben als Zentralarchiv der österreichischen Bundesregierung als auch hinsichtlich der Verwendung seiner Beamten und Angestellten verfassungsrechtlich ganz genau definierte Verpflichtungen zu erfüllen. Diese Verpflichtungen laufen im wesentlichen darauf toinauts,- ausschließlich bereite ahge--^to^n^'Behördittol*gattlatorert> ij} sich aufzunehmen ü'rid''clie“ historischen Dokumente nicht nur des ehemaligen habsburgischen Kaiserreiches, sondern auch die der Republik Österreich zum Gebrauch für die Hoheitsverwaltung und für die historische Forschung zu erhalten, sie sorgfältig zu verwahren und vor Mißbräuchen durch Unbefugte zu schützen. Letzteres gilt im besonderen Maße für das politische Archiv in der Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv des österreichischen Staatsarchives und für das Kriegsarchiv. Für das Kriegsarchiv sogar in einem noch größeren Maße, denn jedes Kriegsarchiv umfaßt viel mehr Imteressensbereiche als das Archiv irgendeines Zweiges der Hoheitsverwaltung.

Dies spiegelt sich auch in den im Kriegsarchiv vorhandenen Archiven, Behördenregistraturen, Akten- und Dokumentensammlungen. Hier liegen nicht nur die Splitter einer einzigen Registratur, wie etwa in einem Verkehrsarchiv oder im Archiv des politischen Auswärtigen Amtes, sondern die Registraturen ganzer Ministerien, wie etwa des Kriegsministeriums oder der Landesverteidigungsministerien der Habsburgischen Monarchie oder die des Ministeriums für Landesverteidigung der Ersten Republik.

Das eigentliche geschichtliche Geschehen spiegelt sich im Kriegsarchiv nur in diesen großen Akten- und Dokumentenbeständen: In den Akten des Hofkriegsrates (1556 bis 1848), des Kriegsminiisteriums (1848 bis 1918), des Generalstabes und der Garden, der Militärbildungsanstalten und Militärgerichte, der k. u. k. Kriegsmarine, in den Akten des ersten österreichischen Bundesheeres, in den Akten- und Dokumentensammlungen der sogenannten „Alten Feldakten“, in denen die ruhmreiche Kriegsgeschichte der kaiserlichen Heere von Wallenstein bis vor dem ersten Weltkrieg enthalten ist, in der umfangreichen Manuskriptensammlung von Manuskripten zur Kriegsund Truppengeschichte, zur Geschichte des Festungsbauwesens, zur Geschichte der Entwicklung des Luftfahrt- und Seewesens sowie in den Aktenmassen des k. u. k. Armeeoberkommandos und in denen der operierenden Einheiten des Weltkrieges 1914 bis 1918 und in jenen Akten, die Auskuft geben über Transport-, Kriegsüberwa-chungs- und Kriegsgefangenenwesen dieses Krieges. Ebenso aber auch in den Beständen der Karten- und Bildersammlung des Archivs mit 380.000 angegebenen Kartenblättern, die die Erzeugnisse und Zimelien der weltberühmten österreichischen Kartographie enthalten, die bis 1918 fast ausschließlich in militärischen Händen lag.

ZweifeJtlois kommt dabei den Per- jj sonalevidenKen der Heere von 1740 bis 1918 und von 1918 bis 1938, den Musterlisten und Staradestabelien, den Personalgrundbuchblättern, den Kondulte- und Qualifikationslisten und den dokumentarischen der seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bis 1918 an Offiziere und Mannschaften verliehenen Auszeichnungen auch eine gewisse Bedeutung zu. Sie sind aber, gemessen an der Bedeutung der Akten der Ministerien und anderer militärischer Institutionen, die im Archiv verwahrt werden, doch nur Strandgut mit wissenschaftlichem Gelegenheitswert, der in der Regel mit dem Gewinn von mehr oder weniger vollständigen biographischen Anhaltspunkten erschöpft ist.

Generationen von Fachwissenschaftlern haben im österreichischen Kriegsarchiv gearbeitet, Historiker, Juristen, Völkerkundler, Wirtschaftswissenschaftler und Diplomaten aus Ubersee und aus allen europäischen Ländern. Sie alle wußten dieses Archiv zu schätzen und haben durch ihre Publikationen zum kulturellen Ansehen Österreichs in aller Welt beigetragen. Auch das Kriegsarchiv selbst hat seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Jahre 1938 in über 200 großen, zum Teil mehrbändigen Werken, von denen insbesondere das einundzwanzigbändige Werk „Die Feldzüge des Prinzen Eugen von Savoyen“ und das siebenbändige Weltkriegswerk „Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914 bis 1918“ hervorragen, internationalen wissenschaftlichen Ruhm gewonnen.

Zwei Weltkriege konnten, trotz vieler Einbußen, das österreichische Kriegsarchiv nicht in seiner Substanz schädigen. Daß weitaus der größte Teil seiner Archivalien vor den kriegerischen Ereignissen und deren politischen Folgen nach 1918 und nach 1938 und 1945 geschützt werden konnte, hatte die internationale Bedeutung dieses Archivs nur noch mehr erhöht, nachdem die großen europäischen Kriegsarchive in Frankreich, Italien, Deutschland. Rußland und besonders auch in den Nachfolgestaaten, in Ungarn, in der Tschechoslowakei, in Jugoslawien, in Rumänien und in Polen, schwerste

Einbußen an ihren Dokumenten erlitten hatten. Wie man erfährt, sind gerade die Nachfolgestaaten in den letzten Jahren mit dem Einsatz ganzer Gruppen von Historikern bestrebt, in Wien Forschungen zur Grundgeschichte ihrer Staaten vor und während des ersten Weltkrieges, zu betreiben, und benützen dazu in einem bisher noch nicht gekanntem Ausmaß vor allem das Österreichische Kriegsarchiv und das Haus-, Hof-und Staatsarchiv in Wien.

Mitten in diesem Prozeß, der doch nur dazu angetan sein kann, die Bedeutung Österreichs zu erhöhen, offenbaren nun Presseberichte, daß das Kriegsarchiv in Wien sich mit anderen Dingen beschäftigt, mit Dingen, die nicht zu seinen ihm vorgeschriebenen Aufgaben als Abteilung des österreichischen Staatsarchivs gehören, nämlich ausschließlich mit dem Ausstellen von amtlichen Bestätigungen, und dies in einer Art, daß es nicht mehr in der Lage ist, seinen wissenschaftlichen Verpflichtungen und deren Tradition nachzukommen. Statt dessen sammelt man alte Wehrmachtsdokumente; man soll sogar solche auch von der steier-märkischen Landesregierung gekauft

haben! Die um eine Dienstzeitenbescheinigung im Kriegsarchiv einkommenden Personen werden ersucht, ihre sich noch in ihrem Besitze befindlichen Dokumente (Soldbücher, Entlassungsscheine aus der Kriegsgefangenschaft usw.) dem Kriegsarchiv für dauernd zu übergeben. Weigern sich die Besitzer der Dokumente, diesem Ersuchen zu entsprechen, so werden diese Dokumente auf Kosten ihrer Besitzer vom Kriegsarchiv photographiert und dann die Photokopien dem Archiv einverleibt oder wird bei Verweigerung der Photokopierungskosten das Ausstellen einer Bestätigung abgelehnt. Über 50 Personen des im Kriegsarchiv tätigen Beamtenapparates, von den Aufräumefrauen bis zu den wissenschaftlichen Archivaren, sind mit dem Ordnen dieser herbeiströmenden Papiermassen alter, die Wehrmacht des Deutschen Reiches betreffender und provenienzmäßig heute nach Deutschland in die deutschen Archive gehörender Papiermassen und mit dem Ausfüllen der auf diesen beruhenden Bestätigungen beschäftigt. Antragstellende Parteien gehen im Kriegsarchiv in Massen aus und ein wie in einem Finanzamt zur Zeit der Jahresausgleiche; sie stehen auf den Gängen der einzelnen Stockwerke herum und warten darauf, bei den Beamten der Dienstposten A und B, die ihnen für ihre Wünsche uneingeschränkt zur Verfügung gestellt worden sind, vorgelassen zu werden.

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