Killers of the Flower Moon - © Constantin

„Killers of the Flower Moon“: Morden in Osage County

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Martin Scorsese liefert mit 80 mit „Killers of the Flower Moon“ erneut ein Meisterwerk ab. Leonardo DiCaprio und Robert De Niro performen Bösartigkeit hinter der Maske der Gutwilligkeit.

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Martin Scorsese liefert mit 80 mit „Killers of the Flower Moon“ erneut ein Meisterwerk ab. Leonardo DiCaprio und Robert De Niro performen Bösartigkeit hinter der Maske der Gutwilligkeit.

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Zuerst hätte es ein Film über die Anfänge des (Federal) Bureau of Investigation werden sollen, in der Leonardo DiCaprio den FBI-Agenten Tom White zu spielen hatte, der eine unaufgeklärte Mordserie im Indianerreservat Osage County in Oklahoma aufklären sollte. Doch Martin Scorsese und sein Hauptdarsteller disponierten um: In „Killers of the Flower Moon“ gibt DiCaprio den tragischen Helden Ernest Burkhart, der in die Sache verwickelt ist.

Endlich wieder ein Scorsese – und man darf sich auf großes episches Kino des Altmeisters freuen, indem überdies ein unbekanntes Kapitel US-amerikanischer Schuldgeschichte der Weißen gegenüber den Native Americans aufgearbeitet wird. Auch wenn man ordentlich Sitzfleisch benötigt – knapp dreieinhalb Stunden im Kinosaal verlangt der Film dem Publikum ab. Aber obwohl Scorsese mit AppleTV+ einmal mehr bei einem Streaminganbieter untergekommen ist (Hollywood stemmt die hohen Produktionskosten einfach nicht mehr), braucht sein Film die Kinoleinwand.

Native Americans, steinreich

Die Historie, auf der „Killers of the Flower Moon“ fußt, ist ebenso unbekannt wie mitnehmend: Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dem Volk der Osage ein Territorium in Oklahoma als Siedlungsgebiet zugewiesen. Als dort Öl gefunden wurde, wurden die Osage innerhalb weniger Jahre steinreich. Allerdings versuchten die Weißen, den Osage die lukrativen Schürfrechte abzuluchsen – unter anderem durch juristische Tricks wie einer „Vormundschaft“, die Weiße über Angehörige der Osage ausüben konnten, damit diese Rechtsgeschäfte abwickeln können.

Am brisantesten aber waren die Morde an Hunderten der Native Americans zwischen 1920 und 1924. Weil die örtliche Polzei korrupt und in Kumpanei mit den weißen Glücksrittern agierte, wandten sich die Osage-Führer an US-Präsident Calvin Coo­lidge, der das damals noch junge FBI mit den Ermittlungen betraute, die letztendlich zur Aufklärung der Morde führten.

„Killers of the Flower Moon“ rankt sich um die Liebesgeschichte der Osage-Frau Mollie (Lily Gladstone) mit dem Weltkriegsheimkehrer Ernest Burkert (DiCaprio), dem Neffen von William Hale (Robert De Niro), ein Rinderzüchter, der die Sprache der Osage spricht und auf Seiten der Native Americans zu stehen scheint. Mollie ist als Osage eine äußerst gute Partie, aber bald stirbt eine ihrer Schwestern nach der anderen auf mysteriöse (und von der Polizei nicht ermittelte) Weise. Auch Mollie, die an Diabetes leidet, wird immer kränker, sodass ihr gleichfalls das Schicksal der Schwestern droht – weswegen ihr Vermögen in den Dunstkreis ihres Schwiegeronkels Hale kommen könnte.

Erst als sich der einstige Texasranger Tom White (Jesse Plemons) als FBI-Agent der Kriminalfälle annimmt, kommt Licht in die dunklen Machenschaften. Scorsese macht aber keinen im Mittelwesten spielenden Thriller aus dem Plot, sondern er webt genial Psychogramme der Handelnden zu einem Gesellschaftstableau zusammen: Der ehrlich um Liebe zu Molly bemühte Ernest entpuppt sich gleichzeitig als kaltblütiger Zeitgenosse, der im Verein mit seinem Onkel Strippen zieht, die ebendiese Gesellschaft arg in Mitleidenschaft ziehen.

Die Kunst dieses einmal mehr großartigen Scorsese-Epos besteht darin, dass Suspense wie im klassischen Thriller nicht nötig ist: Das Publikum weiß bald, wer die Bösewichte sind – und es gelingt Scorsese trotzdem, die Spannung so aufrecht zu halten, dass die Überlänge des Films selten zu spüren ist.

Die Oscars winken

Ganz gewiss zählen Scorsese und der Film als Ganzes zu den Oscar-Favoriten, detto Leonardo DiCaprio für seine tatsächlich unnachahmliche Performance als Ernst Burkert. Und Hollywood-Oldie Robert De Niro spielt den diabolisch freundlichen Strippenzieher Hale, dass es eine Freud’ ist.

Das Ende der Osage-Mörder wird dem p.t. Publikum per Radio-Show im Stil der 1950er Jahre nahegebracht – auch das ein genialer Kunstgriff von Martin Scorsese, bei der sich der Regie-Meister noch mit einem Cameo-Auftritt feiert: Scorsese ist das letzte Gesicht des Films. Chapeau!

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