Wo ist Anne Frank.j - © Wo ist Anne Frank (Where is Anne Frank)

„Wo ist Anne Frank“: Deportationen – 1944 und heute

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Filmemacher Ari Folman nähert sich dem Leben der von den Nazis ermordeten Tagebuchschreiberin per Animation und hat dabei wesentlich die Gegenwart im Blick.

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Filmemacher Ari Folman nähert sich dem Leben der von den Nazis ermordeten Tagebuchschreiberin per Animation und hat dabei wesentlich die Gegenwart im Blick.

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Anne Frank nicht zu kennen, gelingt in Europa kaum jemandem. Es gibt Anne-Frank-Straßen und -Plätze, unzählige Anne-Frank-Schulen, Anne-Frank-Krankenhäuser, Anne-Frank-Theater und auch Filme, ein Theaterstück sowie eine Oper, welche das „Tagebuch der Anne Frank“ wachhalten. Und natürlich ist das Anne-Frank-Haus in Amsterdam – in dessen Hinterzimmern sich das jüdische Mädchen bis zu ihrer Entdeckung und Verhaftung 1944 versteckt hielt – eine der größten touristischen Attraktionen in der niederländischen Hauptstadt.

Doch berührt das Schicksal der von den Nazis ermordeten Jugendlichen heute wirklich noch – insbesondere junge Menschen? Der israelische Filmemacher Ari Folman („Waltz With Bashir“) nimmt diese Frage zum Ausgangspunkt von „Wo ist Anne Frank“, seiner ungewöhnlichen Annäherung an deren Leben. Wie in früheren Filmen erzählt Folman seine Geschichte über Animationen, die er diesmal mit der israelischen Animationskünstlerin Lena Guberman entwickelt hat.

Der Film wird über die Visualisierung von Kitty erzählt, der imaginären Freundin, an die sich Anne Frank in ihrem Tagebuch richtet. Kitty, so der Plot, fragt, wo ihre Erfinderin Anne ist. Sie nimmt ihr berühmtes Tagebuch im Original an sich und verlässt das heutige Anne-Frank-Museum an der Prinsengracht, um nach der ermordeten Protagonistin zu suchen. Dabei freundet sie sich mit Peter, einem Gleichaltrigen, an und begegnet geflüchteten Menschen, die im heutigen Amsterdam von der Polizei eingesperrt werden, um in ihre Heimatländer zurückgeschickt zu werden.

Eigentlich sind die Deportationen der NS-Schergen mit den Aktionen der Polizei von heute kaum zu vergleichen, sollte man meinen. Aber in der Art und Weise, wie Ari Folman die Deportationen im Dritten Reiche und die Abschiebungen von heute für ein (nicht nur!) junges Publikum aufbereitet, zeigt sich, dass Haltungen, die aus Menschen Schubmassen von staatlicher Macht machen, doch ähnlicher sind, als man glauben möchte – was die Verbrechen der Schoa dennoch keineswegs relativiert.

Auf jeden Fall gelingt Folman ein Ausbruch aus den hagiografischen Zugängen, die im Wust der nach Anne Frank benannten Institutionen die Menschen – auch Anne Frank selbst – dahinter verschwinden lassen. Die Frage, wie man die Geschehnisse zwischen 1938 und 1945 für eine heutige Nachwelt wachhalten kann, wird hier auf beeindruckende Weise beantwortet.

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