7122192-1996_41_17.jpg
Digital In Arbeit

Eine Geschichte für heute

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Jahr nach dem Anne-Frank-Gedenkjahr (1945 starb Anne im KZ Bergen-Belsen) ist nun im Wiener Bathaus eine große Ausstellung über das kleine Mädchen und ihr Tagebuch zu sehen. Zur Erinnerung: Die 1929 in Deutschland geborene Anne kam 1933 mit ihren Eltern auf der Flucht vor den Nazis nach Amsterdam. Die neue Freiheit endete aber schon 1940 mit dem Einmarsch der Deutschen. 1942 tauchte schließlich die gesamte Familie unter, in das bekannte „Hinterhaus” (das ist zugleich auch die wörtliche Ubersetzung des niederländischen Titels von Annes Tagebuch). Ein Dasein in der ständigen Angst, vielleicht gehört oder gesehen zu werden, begann.

Auf engstem Baum lebten schließlich acht Personen - neben Anne, ihren Eltern und ihrer Schwester auch noch eine befreundete Familie und ein Bekannter des Hauses. Isoliert von der Außenwelt, allein mit ihren menschlichen Problemen. In dieser Situation verschaffte sich Anne den nötigen geistigen Freiraum in ihrem Tagebuch, das sie Kitty nannte und als eine Art imaginäre Freundin betrachtete. Am 4. August 1944 machte die beklemmende Wirklichkeit einer noch schrecklicheren Platz: Die deutsche Polizei, die ganz offensichtlich einen anonymen Hinweis erhalten hatte, verhaftete alle Bewohner des Hinterhauses. Nur Otto Frank, der Vater, überlebte das KZ und erhielt 1945 von seiner Helferin Miep Gies (übrigens einer gebürtigen Österreicherin) das Tagebuch, das sie im Hausrat gefunden und aufbewahrt hatte; jenes Tagebuch, das heute als das weltweit bekannteste niederländische Buch überhaupt gilt.

Dabei sah es unmittelbar nach dem Krieg gar nicht gut aus für die Veröffentlichung: Mehrere Verlage lehnten das Werk ab, weil man den Weltkrieg für unaktuell hielt beziehungsweise so schnell wie möglich vergessen wollte. Der Verlag, der es schließlich doch annahm, ließ Passagen, die man für unsittlich hielt, herausstreichen- die Niederlande waren damals nicht weniger prüde als andere Länder auch, und die Notizen der pubertierenden Anne über ihren Körper und die Menstruation fand man für den Druck ungeeignet. Zuvor schon hatte Vater Frank allzu negative Pasgegen diskriminierung

- im Dritten Reich ebenso wie heute - richtet sich eine Wanderaustellung über Anne Frank, die in

Wien Weltpremiere feiert. sagen über Annes Mutter entfernt. Und natürlich war das Werk auch sprachlich verbessert worden, denn Niederländisch war für Anne ja chronologisch die zweite Spache.

Im deutschen Sprachraum gibt es zwei Übersetzungen: Die erste wurde noch in den vierziger Jahren von Anneliese Schütz, einer Bekannten der Familie Frank, angefertigt und stieß schon bei ihrem Erscheinen im Jahre 1950 auf Kritik. Die Übersetzerin hatte Fehler gemacht und negative Aussagen über die Deutschen aus kommerziellen Erwägungen weggelassen, vor allem aber den Stil der Jugend überhaupt nicht getroffen. Bei der Lektüre jener Übersetzung kann man sich nur schwer vorstellen, daß hier ein Kind schreibt.

Gerade die Tatsache, daß Anne Frank erst 13 war, als sie ihr Tagebuch begann, sorgte für den großen Erfolg des Werks. Schnell tauchte aber auch der Vorwurf auf, das Tagebuch sei eine Fälschung. Die Angriffe fanden Nahrung in der Tatsache, daß Anne noch im Hinterhaus eine zweite, ausdrücklich zur Veröffentlichung bestimmte Version verfaßt hatte. Vermutlich hatte sie gehört, wie Niederländer über das Badio aufgerufen wurden, Tagebücher zur späteren Dokumentation der Alltagsgeschichte zu führen. Auszüge aus Tagbüchern verschiedener Niederländer sind später tatsächlich veröffentlicht worden.

Angesichts der immer stärker werdenden Diskussion über die Echtheit der 'Tagebücher entschloß sich das 1945 gegründete und bis heute bestehende niederländische Reichsinstitut für Kriegsdokumentation 1986 zu einer kritjschen Ausgabe der Tagebücher. 1988 erschien davon eine deutsche Übersetzung aus der Feder der Kinderbuchautorin Mirjam Pressler. Presslers Übersetzung der zweiten Fassung ist mittlerweile die einzige am Markt. Kurioserweise ist im Handel nur mehr Presslers Übersetzung lieferbar, während sich - zumindest in Wien - in den Bibliotheken fast ausnahmslos nur die Übersetzung von Schütz findet.

Zurück zur Ausstellung: Es handelt sich hier keineswegs um eine rein Wiener Angelegenheit (auch wenn das den wähl werbenden Parteien sicherlich gelegen käme), sondern um die Weltpremiere für eine internationale Wanderausstellung der Anne-Frank-Stiftung aus Amsterdam. Angesichts der Tatsache, daß viele Niederländer gerade mit Berufung auf den Nationalsozialismus relativ starke Antipathien gegen alles Deutschsprachige hegen, darf man in der Wahl des Ortes auch ein wichtiges Signal aus den Niederlanden sehen. Von Wien ausgehend wird die Ausstellung über mehrere Jahre die ganze Welt bereisen - wie das 1985 bis 1995 schon ihre Vorläuferin tat, die in 23 Ländern, darunter auch Österreich, von insgesamt beinahe sechs Millionen Menschen gesehen worden ist.

Die neue Ausstellung trägt den Untertitel „Eine Geschichte für heute” und zeigt damit, daß sie mehr sein will als die bloße Präsentation einer bekannten Persönlichkeit. Sie will allen, also gerade auch den heutigen Opfern von Entrechtung und Rassismus, ein Sprachrohr bieten. Das entspricht auch den allgemeinen Zielsetzungen der Anne-Frank-Stiftung. Diese Stiftung wurde 1957 gegründet und war ursprünglich nur ein Verein zur Verhinderung des drohenden Abbruchs von Annes Haus in der Prinzengracht. Das Haus wurde in der Folge zum Museum umfunktioniert und ist seither einer der bekanntesten Touristenmagneten Amsterdams.

Wahrscheinlich ist der Erfolg vor allem darauf zurückzuführen, daß die Mitarbeiter der Stiftung von Anfng an keine Kultstätte für eine Einzelperson schaffen wollten, sondern auf Gedankenaustausch und Diskussionen mit den Menschen setzten. Wichtigste Zielgruppe waren dabei Kinder und Jugendliche. Spannungen konnten aber nicht ausbleiben, zumal die Anne-Frank-Stiftung zusehends stärker linke Ideen vertrat, die bei Otto Frank Befremden auslösten. Nach 1969 wurde eine neue Zielrichtung definiert: Nicht mehr Anne Frank selbst sollte im Zentrum stehen, sondern der aktive Kampf gegen Vorurteile und Diskriminierung aller Art. Nach dem Hinterhaus gelangt der Besucher des Anne-Frank-Hauses daher auch in einen Schauraum, in dem moderne Formen rassistischen Gedankenguts diskutiert werden (Verweise auf Waldheim und Haider fehlen im übrigen nicht).

Aber die Zeiten ändern sich, und vor allem in der letzten Zeit wird die Anne-Frank-Stiftung immer öfter als verkappte kommunistische Organisation mit selbsterklärtem Wachhundmonopol kritisiert. Dies ist umso auffälliger, als sich die Stiftung gleichzeitig immer gemäßigter gibt und ihre Aktivitäten nicht mehr auf den Kampf gegen Diskriminierung, sondern auf das Eintreten für interkulturelle Projekte konzentriert.

Nicht ganz unbeteiligt an der zunehmenden Kritik ist sicherlich auch der lähmende Streit um die Namensrechte, den sie mit dem Anne-Frank-Fonds führt. Dieser hat seinen Sitz in Basel, der Stadt, in der Otto Frank seinen Lebensabend verbrachte, und verfügt über die Urheberrechte aller Tagebücher und Fotos, während die .Stiftung hauptsächlich von den Einnahmen des Museums und von Spenden, darunter bislang auch die vom Fonds, leben muß.

Begreiflicherweise sollen diese Querelen in Wien im Hintergrund bleiben. Die Ausstellung, die noch bis 30. Oktober in der Volkshalle des Wiener Bathauses zu sehen ist, illustriert nicht nur das Leben Anne Franks, sondern stellt auch Querverbindungen zu heute her: Sündenbocktheori-en, ethnische Säuberungen, die Lage der Menschenrechte und Kommentare von heute lebenden Menschen sollen zeigen, daß Anne Franks Botschaft nach wie vor aktuell ist. Zahlreiche Bahmenveranstaltungen über Juden, ethnische Minderheiten und Flüchtlinge runden das Programm ab. Wie die Ausstellung selbst sind sie gratis zugänglich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung