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Die Brust für Hawai

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Sportler sind ja einiges gewohnt, vor allem wenn sie sogenannte Profis sind. Kein bekleideter Körperteil, auf dem nicht ein Signet und ein Markenname steht, damit der Sieg viele zahlende Väter hat. Schi- und Bennfahrer sind üppig drapiert, bei Schwimmern zum Beispiel ist die Dekoration etwas schwieriger. Vielleicht entwickelt bald einer ein Verfahren, mit dem man die Beklame auf die nackte Haut tätowieren kann. Vorübergehend allerdings, denn welcher Schwimmer will denn sein Lebtag als Werbeträger ins Bett steigen? Ein anderes Problem ist die häufig beworbene Zigarettenmarke, die der Frau Gesundheitsminister schon längst auffallen müßte. Sportler sollten doch ein Anti-Raucner-Vorbild sein'

Ich bin kein Sportler. Das erkem nen die Sportler unschwer, wenn ich mich jenen Bewegungen im Wasser oder auf dem Fahrrad hingebe, die den sportlichen Bewegungen ähnlich sind. Am Ziel richtet sich keine Fernsehkamera auf mich - und kein Beporter fragt mich, wie ich mich in der letzten Kurve gefühlt habe. Als Leitfigur scheide ich daher ebenso aus wie als Werbeträger.

Diese negative Selbsteinschätzung erweist sich zusehends als Irrtum.

Es hat alles so harmlos angefangen. Ein kleines Krokodil auf der Leiberlbrust. Pardon, das lockere Textil heißt fachgerecht Polo, wahrscheinlich weil es ursprünglich für den Luxussport entwickelt wurde. Leiberl verbietet sich schon wegen des Preises. Zur Annehmlichkeit des Tragens gesellte sich ein unerwarteter Nebeneffekt. Sportliche und unsportliche Mitmenschen musterten mich plötzlich mit einer Hochachtung, die mit meinen körperlichen Leistungen nicht zu rechtfertigen sind. Das Polo-Leiberl verleiht Prestige, es ist ein Status-Symbol. Mittlerweile weiß ich, daß es sogar der Bundes-

kanzler bei TV-Sommergesprächen stolz ins Bild rückt. Beim Ankauf eines zweiten Polo-Leiberls fragte ich die Verkäuferin, ob sie nicht eines mit größerem Krokodil hätte.

Das Prestige kann gar nicht groß genug sein.

Jahre sind seither ins Land gezogen. Von dezent bis aufdringlich ziert mittlerweile jegliches Leiberl irgendein Vieh oder Signet. Insider wissen über Auf- und Abstieg der jeweiligen Prestigewerte genau Bescheid. Blindes Vertrauen ins Krokodil wäre verfehlt. Der geistige Anspruch des sportlichen Outfits steigt.

Vor allem aber hat die Leiberl-Fauna nur die ganze Brust erobert. Affen und Papageien, welche einst die Krawatte des Abenteuerurlaubers zierten, haben sich auf die Lei-berln gestürzt und dort kolossal vermehrt. Die Palmen- und Kaktusfauna wächst den Tierherden hinterher und erobert den Rücken.

Jedes Leiberl ein Südseetraum!

Dies ist die Stunde des Wortes. Jene geistreichen Bemerkungen und Sprüche, die vordem mitteilungsfreudige Fahrer auf ihre Autos pickten, druckt die Textilindustrie jetzt auf ihre Leiberln. Die Varianten sind unendlicher als die Farben. Das Leiberl wird zum Bekenntnis. Bela-tiv einfach ist noch die Entscheidung, ob ich für die Bahamas, für Hawai, für Hamburg, New York

oder die Universität Heidelberg bin. Doch wer zählt die Sprüche, nennt die Namen! Wer sagt mir, ob ich mit Mozarts Zauberflöte oder mit den Beatles prestigemäßig besser dran bin? Wie die Swatch-Industrie produziert die Textilwirtschaft längst nicht mehr bloß für den Gebrauch. Bestimmte Leiberln haben hohen Sammelwert. Wie aber soll ich wissen, ob jenes Stück, welches ich gedankenlos verschwitze und verschleiße, am Ende ein hochgejubel-tes Auktionsexemplar geworden wäre?

In der Situation solcher Verwirrung beschließe ich eine Art übertragener Konsumaskese. Alle diese Signierer und Bedrücker können mir meine hintere Werbefläche hinunterrutschen - ich will ein völlig neutrales Leiberl.

Meine Krone als König Kunde habe ich leider abgegeben. Der Wunsch nach einem Polo „ohne” ist der Inbegriff von extensivstem Luxus. Wer die Reklame verweigert, wer ohne Bekenntnis Wert auf eine anonyme Brust legt, wer das Textil nur um des Textils willen begehrt, der sabotiert die Kommunikationsgesellschaft.

Nach langem Suchen habe ich ein Leiberl gefunden. In anonymen Mausgrau. Wer mich sieht, ist baff. Wo gibt's denn so was! Mein Prestige übertrifft den Kanzler.

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