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Die Reparaturen

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Reparaturen sind jene Vorgänge, die etwas wieder parat, bereit machen sollen: Wiederher- stellungs-, Ausbesserungsarbeiten. Bei unbelebten Gegenständen nennt man die Reparaturen häufig tatsächlich mit diesem Namen, wenn man nicht gerade von Service oder Ueberholung spricht. Beim Menschen hingegen fallen die Reparaturen vorwiegend in das Arbeitsgebiet der Medizin. Einen edlen Geist, der hier zerstört ist, versucht der Psychiater zu reparieren, einen von Geschwüren durchsetzten Zwölffingerdarm repariert der Chirurg und so weiter.

Genau genommen sind Instandhaltung!- und Verbesserungsarbeiten fast jeglicher Art eine Reparatur: vom Zähneputzen und Händewaschen zum Oelen der Nähmaschine und zum Zündkerzenwechsel, vom Staubsaugen im Wohnzimmer über die Erneuerung des Straßenbelags bis zur Restaurierung alter Gemälde, vom Annähen eines Hosenknopfes über die mottensichere Aufbewahrung von Pelzmänteln bis zum Wiederaufbau gebombter Stadtviertel.

So betrachtet, zeigt sich freilich beängstigend rasch, ein wie großer Teil unseres Lebens im Zeichen der Reparatur, der Wiederherstellung steht. Frühere Stufen der Zivilisation konnten ihrem ganzen Wesen nach nicht so sehr mit Reparaturen befaßt sein, denn der weitaus größte Teil all der technischen Errungenschaften, die so typisch reparaturanfällig sind, war einfach nicht vorhanden. Und die Wissenschaft des Menschen lag noch sehr im argen. Was mit der Lebenskraft und ein paar Kräutern nicht gelang, das fiel einfach der Vernichtung anheim.

Dem 20. Jahrhundert hingegen ist es gelungen, nicht nur Bügelfalten präzise zu erneuern, sondern vor allem die Reparatur des Menschen zu ungeahnte Höhen emporzuführen.

Unser Leben wird zu einem Wettlauf zwischen Verschleiß und Reparatur. Morgen die letzte Sitzung beim Zahnarzt, Donnerstag kommt der Installateur wegen des tropfenden Hahnes im Badezimmer, Sonntag müßte man die Zündkerze suchen, die immer wieder ausfällt, nächste

Woche sollte man zum Augenarzt wegen eines neuen Brillenrezeptes. Ein Sakko muß kunstgestopft werden und der quietschenden Bücherkastentür kann man mit dem OelkännChen allein offenbar auch nicht mehr beikommen.

Neben den Formularen, die den modernen Menschen bekanntlich von der Wiege bis zur Bahre begleiten, spielen die Reparaturen die größte Rolle im heutigen Leben — wobei wir ganz absehen wollen von den psychischen Reparaturen, den Versöhnungsversuchen und dergleichen. Und die Axt im Hause erspart möglicherweise zwar den Zimmermann, aber das Zeitalter der Zaren und der Zimmerleute ist vorbei.

Aber vielleicht ist unsere Generation die letzte, die in so starker Weise reparaturbedürftig ist. Schon zeichnet sich nämlich ein Gegenstoß ab, eine Art von „Zurück-zur-Natur“. Das Motto dieser neuesten Richtung ist eine Variante des alten Handgranaten-und-Zigaretten- Witzes. Benützen und Wegwerfen.

Die Milchflaschen schwinden dahin und an ihre Stelle treten Pappkartons. Zum Picknick nimmt man bereits Pappteller und billigstes Kunststoffbesteck. Modernste Kleider von der Stange werden eine Saison getragen und dann weggeworfen. An die Stelle der Reparatur tritt zunehmend der Eintausch: „Dafür bekommen Sie ja keine Ersatzteile mehr. Aber ich kann es Ihnen in Zahlung nehmen. Wir haben da etwas ganz Fabelhaftes, ein ganz neues Messemodell.“

Das Adjektiv dieser nächsten Zukunft ist das vorläufig noch fast unübersetzbare „disposable“, „wegwerfbar“. Im lobendsten Reklamesinn: was „disposable“ ist, das braucht man nicht mit sich umherschleppen, nicht waschen, nicht reparieren. An die Stelle der Reparatur tritt allmählich die völlig bewußte Vernichtung.

Was freilich unsere zweifellos in vieler Hinsicht recht reparaturbedürftige, alte Erde anlangt, so wollen wir hoffen, daß man sich bis auf weiteres mit Reparaturen behilft. Oder sind wir, von höherer Warte aus gesehen, etwa schon längst „disposable"?

Nein, wir bitten untertänigst um weitere Reparaturen. Wir wollen gern weiter Zähne putzen und Kollektorenbürsten säubern lassen ...

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