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Frühling, trozdem

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Der Prager Frühling findet statt. In den Konzertsälen, im Nationaltheater, in der St.-Georgs-Kirche. Wo die Folgen der Ereignisse das große Konzept durch Absagen und halbe Entschuldigungen über den Haufen zu werfen drohten, dort wußte das Improvisationstalent dieses unglaublich vitalen, schlauen, zähen und willensstarken Volkes Auswege zu finden, die mitunter zu triumphalen Zielen führten.

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Der Prager Frühling findet statt. In den Konzertsälen, im Nationaltheater, in der St.-Georgs-Kirche. Wo die Folgen der Ereignisse das große Konzept durch Absagen und halbe Entschuldigungen über den Haufen zu werfen drohten, dort wußte das Improvisationstalent dieses unglaublich vitalen, schlauen, zähen und willensstarken Volkes Auswege zu finden, die mitunter zu triumphalen Zielen führten.

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Daß dieser Frühling im Zeichen — dem sehr starken Zeichen — von Leos Janddek stehen sollte, sei vorausgesetzt. Daher pars pro toto: „Das kluge Füchslein“, das bejahendste, lebensfrohste Werk des Meisters, im NaMonaltheater. In der unwiederhol-bar familiären Atmosphäre dieses Närodni Divadlo, das über den merkwürdig tiefen Orchestergraben hinweg eine Verbindung zwischen Bühne und Zuschauerraum gestattet, wie sie anderswo kaum zu erzielen ist. Das heute, im Augenblick der Wiederentdeckung des österreichisch-ungarischen Ringstraßenstils mit seiner Unverletztheit — unverletzt bis in die geringsten Einzelheiten — bereits als Juwel zu werden wäre, gäbe es im Hause einen tatkräftigen Staubsauger und eine bemerkbare Lüftung ...

Zurück zum Wesentlichen. Atmosphäre und Stimmung ist alles. Wer fragt danach, ob diese Art von Inszenierung durchaus „zeitgemäß“ ist, ob das Stimmenmaterial (den großartigen Jindftch Jindräk als tschechischen Prototyp eines Revierförsters jedenfalls ausgenommen) in allen Fällen ausreicht, ob die Bläser härter ansetzen als hierzulande und gegen Ende der Oper ermüden, oder wer fragt hier nach Perfektion der technischen Einrichtungen? Die Hochzeitschöre des zweiten Finales kommen aus verschleierten Proszeniumslogen und erzielen stereophone Wirkungen, die kein Lautsprecher zu bieten vermag, die Apotheose des Waldes im dritten Finale erfüllt den intimen Raum mit ihrer ganzen Wucht, Zuschauerraum und Bühne explodieren, verbrüdert, zu Ovationen für den nationalen Meister, in tschechischen Augen glänzen unver-> holen Tränen, und die Gäste aus der Fremde klatschen Sympathie.

Ein Sonderlob der graziösen Helena Tattermuschovä, der Füchsin, und dem von ihr bruchlos bewältigten Zugleich von Sprechgesang, Schauspiel und Ballett. Ein Sonderlob dem Chor der Hennen mit seinen immer neuen Anfällen bedächtiger Stupidität und aufgescheuchter Hysterie. (Wer hätte beleibteren Prager Damen jemals solche Akrobatik zugetraut — etwa flügelflatternd auf wackelnde Zäune zu hüpfen und dort singend zu balancieren?) Ein Sonderlob den Bühnen- und Kostümbildnern — welche Einheit bei wie geringen Mitteln! — dem Regisseur Ladislau Stros, der mit den Möglichkeiten des magischen Realismus den nahtlosen Zusammenklang zwischen biederer Dorfgeschichte, Märchen und Traum zuwegebrachte. (Wann wird sich ein westlicher Regisseur dazu aufraffen, Rostands Chantecler herauszubringen? Heute und jetzt böte die Jugendstilrenaissance eine Brücke.) Ein Sonderlob vor allem den Kindern, den Kaninchen, Eichhörnchen, dem hopsenden, am Ende sogar in richtiger Stimmhöhe piepsenden Frosch, dem kleinen, mit weichem Rückgrat daherschleichenden Füchslein der Vera Oufednikovä. Ein Sonderlob...

... allen. Diesem Theater, dieser Stadt, diesem Volk. Daß der Fremde im Närodni Divadlo kein Büffet findet, ist insofern das geringste Übel, als es ihn zwingt, die Zigarettenpause auf dem Trottoir, an der Moldau zu verbringen. Denn um diese Stunde zeichnet sich, schwarz und durchscheinend, die Kontur der Kathedrale und der Burg vor dem silberfarbenen Westhimmel ab. Moldau und Hradschin: Vergangenes ist Gegenwart, und Gegenwart trägt alle Zukunft in sich, nichts ist endgültig, trotz allem. Der Prager Frühling findet statt. Nicht nur im Närodni Divadlo, in der St.-Georgs-Kirche und in den Konzertsälen ...

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