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Grenzen der Logik

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Als bedeutsame Entscheidung des Mietenrechts wurde dieser Tage ein Berufungserkenntnis des Wiener Zivillandesgerichtes vermerkt, in dem ausgesprochen war: Mehrere Mieter desselben Objektes stehen untereinander in einer unteilbaren Rechtsgemeinschaft, also auch in bezug auf die Verbindlichkeiten aus dem Mietvertrag. Es genügt daher, daß nur bei einem der mehreren Mieter der Kündigungsgrund vorliegt, um die Kündigung auch gegenüber den anderen Mietern zu begründen. Im gegenständlichen Fall war der Kündigungsgrund: die Illegalität eines Mieters vor mehreren.

Nicht dieses Umstands wegen aHein ist diese Entscheidung bemerkenswert, vielmehr auch deshalb, weil sie kennzeichnend ist dafür, wie leicht Logik im Recht zu empfindlichem Unrecht sich auswirken kann. Es gehört zu den Alltäglichkeiten, daß als Mieter einer Wohnung Ehemann und Frau gemeinsam den Mietvertrag abschließen. Für den Fall des Ablebens eines der Mieter anerkennt das Mietenrecht sogar einen Anspruch von gewissen Familienmitgliedern, die bereits zwei Jahre mit dem Mieter die Wohnuag geteilt haben, also selbst bisher nicht .Mieter waren. Ein nun von einem der Mieter — mit oder ohne Vorwissen der anderen — gesetzter Kündigungsgrund soll fortan alle anderen entrechten, so daß beispielsweise

Frau und ahnungslose Kinder des Heims beraubt werden — eine traurige Konsequenz aus dem 92, nicht aber ganz im Einklang mit 1236 und 1237 unseres guten alten Bürgerlichen Gesetzbuches — oder daß alte Eltern, treue Österreicher, der Obdachlosigkeit ausgesetzt werden, weil ein Sohn als Mieter, den anderen vielleicht vollends unbewußt, illegal gewesen war. Das Fiat justitia, pereat mundus! führt hier also zur Strafsanktion gegen staatstreue Menschen und gegen solche Familienmitglieder, die möglicherweise unter der Querköpfigkeit und dem ganzen Gebaren des einen, Jahre hindurch schwer gelitten haben.

Wo liegt hier der Fehler? Wohl in dem mangelhaften Durchdenken und Stilisieren von gesetzlichen Novellen und in der Unterlassung der prompten gesetzgeberischen Initiative, wenn einmal alltägliche Erfahrung einen gefährlichen legislativen Fehler aufdeckt. In solchen Fällen, die bei der rasch arbeitenden Gesetzesmaschine unvermeidlich sind, darf — namentlich wenn es sich um Serienfolgen handelt — nicht gezögert werden, ungesäumt einzugreifen. Gefährlich sind jedoch derartige gedankliche Folgerungen aus altem und novelliertem Recht deshalb, weil sie den Gedanken an seichte Hilfskonstruktionen erwecken, wie es das „Gesunde Volksempfinden“, die „Billigkeit“, die „Härteparagraphen“ und dergleichen in der nazistischen Gesetzgebung gewesen sind, Methoden, die so nebenbei gerade Härte gegen politische Gegner und milde Protektion zugunsten von Parteigenossen ermöglichen sollten.

Demokratische Rechtsgestaltung aber muß, soll sie nicht gleichem Mißtrauen und verdienter Mißadnung begegnen, von vornherein und rechtzeitig dafür sorgen, daß der Richter nicht durch falsche Gesetzestechnik dazu gezwungen werde, aus dem gesatzten Recht ethisch als Unrecht empfundene Folgerungen abzuleiten. Man denke die Dinge zu Ende, bevor man zu einem Paragraph den Schlußpunkt setzt; um des Rechtes wegen verbessere man es aber im Augenblick der Erkenntnis, daß formale Logik Unschuldige trifft und damit die Gebote von Anständigkeit verletzt. Letzten Endes beherzige man auch die Weisheit ds englischen Sprichwortes:

„Den Vogel fängt man nicht, indem man ihn schreckt!“

Recht aber soll zu den Menschen kommen, nicht sie abstoßen, soll ihr Vertrauen und Verständnis fesseln, nicht Sklavenfesseln befürchten lassen. Es soll nicht immer wieder österreichisches Schicksal sein: Zu spät erkennen und noch später reparieren. Das ist die Bedeutung eines kleinen Ausschnitts aus dem judiziellen Alltag: Warnung vor leider täglich wiederkehrenden Fehlern!

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