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Der neue Roman von Matthias Mander deckt Schlampereien beim Bau der Reichsbrücke auf und treibt die handelnden Figuren in den Opfertod.

Zwei Ereignisse ließen den 1. August 1976 vielen Österreichern als Katastrophentag dauerhaft in Erinnerung bleiben: Der Einsturz der Wiener Reichsbrücke, der - da früh am Morgen erfolgt - glücklicherweise "nur" ein Todesopfer forderte, und der Feuerunfall Niki Laudas am Nürburgring eröffneten der geschockten Nation unvermutet die Schreckenspforten zur Prüfung durch Wasserfluten und Höllengluten.

Des "Brückenfalles" nimmt sich Matthias Mander in seinem jüngsten Roman an, wobei er den zeitlichen Bogen von den dreißiger Jahren bis in die Gegenwart spannt. Mit dem Bau der alten Reichsbrücke - dem Prestigeprojekt des austrofaschistischen Ständestaates - wurde 1934 begonnen, und er stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Die Ungunst der geologischen Verhältnisse behinderten die Bauarbeiten erheblich und zwangen zu gravierenden konstruktiven Abänderungen. Dazu kam ein erbittert geführter Expertenstreit, der mit einem historisch überlieferten Doppelselbstmord endete. Mander verwehrt sich aber gegen eine simplifizierende Lektüre als Schlüsselroman (bei dem die Dekodierung ja dezidiertes Erzählziel ist), sondern verweist im Vorwort dezidiert auf die Fiktionalität seines Romans, "der niemandes Biographie oder Autobiographie" sein wolle.

Karl Plach, von vielfachem Unheil getroffen und Träger eines künstlichen Herzens, tritt an seinen früheren Arbeitskollegen Johann Zisser mit der dringlichen Bitte heran, ihm bei der Rehabilitierung seiner Eltern literarisch behilflich zu sein. Der ehemalige Buchhalter Zisser ist Autor des Romans "Garanas" (tatsächlich Manders zuletzt erschienener Roman), in dem er die kriminellen Machenschaften, die zur mutwilligen Zerschlagung ihrer früheren Firma, eines Schwerindustrie-Unternehmens, geführt hatten, schonungslos aufgedeckt hat. Anfangs widerstrebend nimmt Zisser den Schreibauftrag schließlich doch an, obwohl er sich der Aufgabe nicht ganz gewachsen fühlt: "[E]in Werk über das Schicksal Ihrer Eltern aus sich stetig entfernendem Blickwinkel schaffe ich nicht. Aber die Belege dieser Nicht-Bewältigung, die Spurensicherung könnten wir versuchen." Diese Erzählkonstruktion erweist sich zwar als etwas umständlich, ermöglicht aber andererseits durch die Vervielfachung der Erzählerstimme eine Brechung der Perspektiven und eine differenzierte, selbstreflexive Annäherung an den gewählten Stoff.

Plach möchte den Freitod seiner Eltern als "Märtyrertod" (!) gewürdigt wissen. Sein Vater, Professor an der Technischen Hochschule Wien, habe jahrelang vergeblich vor dem unter den gegebenen Verhältnissen seiner Meinung prinzipiell falschen Konstruktionsprinzip der Reichsbrücke als (unechte) Kettenbrücke gewarnt und grobe Schlampereien beim Bau aufzudecken versucht. Man habe ihn aus Staatsräson mundtot gemacht und vom Institut vertrieben, worauf er gemeinsam mit seiner Frau freiwillig in den Tod gegangen sei, um dadurch auf die verheerende, von höchster Stelle geübte "falsche Sprache" aufmerksam zu machen, denn "[e]s ist ein Unterschied, ob in der richtigen Sprache eine Lüge als Lüge obsiegt [...], oder ob in einer falschen Sprache das Falsche zur maßgeblichen Regel wird".

Leider gelingt es dem Autor nicht, die Motivation zu dieser kompromisslos mutigen aber hinsichtlich der Verantwortung als Eltern auch bedenklichen Tat plausibel zu machen, was an der eindimensionalen Figurenzeichnung und papierenen Dialoggestaltung liegt. "Die Guten" (so auch ein Kapiteltitel) in diesem Roman sind beinahe heiligenmäßige Figuren, sind um ihrer Überzeugung willen bereit, alles, selbst den Tod auf sich zu nehmen ("Das Apostolat der Wahrheit hat sein Martyrium"), aber sie wirken in keiner Faser ihres Wesens lebendig, dem Leser fällt es also schwer, an ihrem Schicksal Anteil zu nehmen. Umso weniger, als die Bösewichte ebenso überzeichnet sind. Da gibt es zum Beispiel den Schwiegersohn Rolf Zynniak, ein Mensch von beachtlicher krimineller Energie und maßloser Ich-Bezogenheit, der nicht nur durch systematischen Psychoterror Plachs Ehefrau in den Selbstmord treibt und Plach letztlich durch Drehherz-Sabotage sogar ermordet, sondern durch gewerbsmäßige Umweltverbrechen in Form illegaler Elektronikschrottdeponien auch einen Anschlag auf Zissers Exil und Refugium auf der Koralpe unternimmt &

Die Hereinnahme der Stalking-Thematik (tatsächlich gibt es in Österreich eine derzeit noch völlig ungenügende gesetzliche Grundlage, um gegen dieses Phänomen unausgesetzter Verfolgung und Belästigung effektiv vorzugehen) überfrachtet den Roman überdies und scheint - trotz aller unbestrittenen Engagiertheit des Autors - strukturell hauptsächlich dazu zu dienen, damit sich in Karl Plach das Schicksal der Eltern wiederholt. Plach kämpft - vergeblich - um ein zeitgemäßes Anti-Stalking-Gesetz, und auch er stirbt als Märtyrer, indem er wissend den geplanten Anschlag auf sein Leben erwartet, sich aber passiv verhält, um durch den Opfertod endlich eine Möglichkeit zu Zynniaks Verhaftung zu schaffen.

Trotz der geschilderten Schwächen ein über weite Strecken fesselndes Buch, das durch seine präzisen topografischen Beschreibungen, sein historisches aber vor allem technisches Fachwissen besticht. Und die Besetzung der Hauptrolle durch die alte Reichsbrücke, einen höchst beeindruckenden Koloss auf - wie man seit dem 1. 8. 1976 weiß - tönernen Füßen, ist tadellos.

DER BRÜCKENFALL ODER DAS DREHHERZ

Roman von Matthias Mander

Czernin Verlag, Wien 2005

320 Seiten, geb., e 24,80

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