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.. mit den seltenen Eigenschaften

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WIR WANDERN, WIR WANDERN ... Der Memoiren dritter Teil. Von Curt O o e t z und Valerie von Martens. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, 3963. 533 Seiten. Preis 16.80 DM

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WIR WANDERN, WIR WANDERN ... Der Memoiren dritter Teil. Von Curt O o e t z und Valerie von Martens. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, 3963. 533 Seiten. Preis 16.80 DM

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Er war die große Ausnahme: der Herr des deutschsprachigen Theaters, der deutsch-schweizerische Sacha Guitry und Noel Coward in Personalunion, der einmalige Glücksfall eines legitimen deutschen Komödienautors, der sein eigener Hauptdarsteller war; und er hatte alles, um was wir sonst die Franzosen und Angelsachsen beneiden: Leichtigkeit, Geist, Esprit, gütigen Humor, Charme. Aus einem Nichts zauberte er ein Feuerwerk von Pointen, kämpfte er ein Leben lang gegen die „Mikrobe der menschlichen Dummheit“, und wir dürfen dankbar sein, daß uns seine größten Erfolge, die er immer mit seiner Gattin teilte, wenigstens als Film-„Konserve“ erhalten geblieben sind und uns einen Abglanz seiner Einmaligkeit geben.

Die große Ausnahme war Curt Goetz, der Schauspieler, der eines Tages begonnen hatte, sich seine eigenen Rollen und Stücke zu schreiben und der bereits zu seinen Lebzeiten ein heimlicher Lustspielklassiker war. Kurz vor seinem Tod erst — er starb 1960 72jährig in der Schweiz — begann er seine Memoiren aufzuzeichnen.

Leider konnte er nur den ersten Teil des mehrbändig konzipierten Unternehmens vollenden, den zweiten hat seine Gattin Valerie von Martens in seinem Sinn ergänzt, genauso wie den dritten, der uns nun vorliegt.

Zeitlich setzt dieser letzte Bericht, der doppelt so stark wie Teil II geworden ist, mit dem Jahre 1929, zwischen der Niederschrift von „Hokuspokus“ also und „Der Lügner und die Nonne“ ein.

Valerie von Martens, die liebenswürdig-naive Gattin, ist eine treue Verwalterin von Curt Goetz' Wort; sie fügt ihren chronologisch geordneten Erinnerungen viele Tagebuchnotizen, Arbeitsprotokolle (Amerika), Briefe, Aufsätze, Stellungnahmen, Reden und Aussprüche ihres Mannes ein, die Wesentliches nicht nur zur theaterhistorischen, sondern auch zur politischen Situation der Zeit aussagen. Goetz, der wache, unbestechliche, kritische Geist, sieht, während er mit seiner eigenen, selbst gegründeten Truppe umherzieht — Tourneen waren im Deutschland dieser Jahre noch nicht üblich —, die Hitler-Ära heraufziehen, der er, der seinen Wohnsitz zwar in der Schweiz hatte, als Künstler' weicht, blutenden Herzens, und nicht zuletzt deshalb, weil er dieses neue, propagandistisch vergewaltigte „grauenhafte Deutsch“ nicht mehr ertragen konnte. Mehrmals hat Goetz während dieser kritischen Jahre durch bewundernswerte Zivilcourage jüdischen Freunden und Kollegen geholfen. Es folgten für den freiwilligen Emigranten und seine Gefährtin desillusionierende Amerikajahre, in denen Goetz, wie so mancher andere europäische Schriftsteller vor ihm, als Drehbuchautor im technisierten Hollywood scheiterte. Schließlich zag es das Ehepaar vor, eine Hühnerfarm statt weiter Kunst zu betreiben. In diesem Zeitabschnitt entstanden auch Goetzens ergötzliche Prosaarbeiten.

Wo der Schauspielerkomödienschreiber persönlich zu Wort kommt, da springt dieses in Anekdote und funkelndem Witz, in Satire und nachdenklichem Ernst unmittelbar über die Rampe. Zuletzt wird noch die Trümmerzeit nach 1945 lebendig, in der das Ehepaar Goetz-Martens in vorderster Reihe das deutsche Theater wiederaufbauen half. Solange Curt Goetz, der authentische und beste Interpret seiner Stücke, sich aufrechthalten konnte, ist er auf den Brettern gestanden; seine letzte Uraufführung erlebten die Wiener, als die „Miniaturen“ 1956 im Akademietheater „am heißesten Tag seit 100 Jahren“ Premiere hatten. Obwohl sie unter keinem guten Stern stand, hat sie der bereits vom Tod Gezeichnete noch „unendlich genossen“.

Wie schon in den ersten Bänden begegnen uns auch hier viele bedeutende Menschen, wie Shaw, Reinhardt, Kortner, die Sandrock oder die Garbo; ihr hätte Goetz das Drehbuch zu ihrem letzten Hollywoodfilm schreiben sollen! Nicht zuletzt bilden die Briefe von Curt Goetz' engstem Freund und Mitarbeiter, Max Kaufmann, der 1933 in Deutschland zurückgeblieben war, ein großartiges menschliches Dokument.

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