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Variationen über ein Raimund-Thema

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Der Insel-Almanach 1919 publizierte erstmalig Hugo von Hofmannsthals Phantasie über ein Raimundsches Thema „Eduard und die Mädchen“, vier dramatische Bilder, zu denen der Dichter durch Raimunds „Diamant des Geisterkönigs“ angeregt worden war. 1934 kam es zu ihrer Uraufführung In der Volkshochschule „Volksheim“, in Anwesenheit der Witwe des Dichters. Dr. Ernst Schönwiese, dem die Wiener Uraufführung zu verdanken ist, brachte die Szenen zu Weihnachten 1945 in der Sendergruppe Rot-Weiß-Rot und nunmehr im Lesestudio der Salzburger Volkshochschule für denselben Sender neu heraus, diesmal jedoch eingefügt in die entsprechenden Szenen des Raimund-Stückes.

Das erste Bild (aus dem zweiten Akt des

Raimundschen Stückes) führt uns in den Palast des Geisterkönigs Longimanus. Der Sohn eines Zauberers, Eduard, begehrt nach dem Diamant des Geisterkönigs, der ihm unter der Bedingung versprochen wird, daß er ein Mädchen, das noch nie gelogen hat, findet und dem Geisterkönig zufuhrt. Longimanus' Diener Florian Waschblau — die komische Figur des Stückes — wird ihm zugesellt und muß als Wahrheits- beziehungsweise Lügenbarometer fungieren: reicht Eduard einem Mädchen die Hand, das der sittlichen Forderung nicht genügt, so empfindet Florian (je nach dem Grad der Verfehlung) einen rheumatischen Schmerz, im positiven Fall jedoch ein gleichfalls dem sittlichen Stand entsprechend nuanciertes leibliches Wohlgefühl. Das zweite Bild führt uns nun in das Hinterzimmer einer Greislerwohnung, das dritte in das Zimmer einer Hofratswohnung, das vierte in den Gartenpavillon der Gräfin Clothilde, das fünfte in die Appartements der Prinzessin Modestina — Hofmannsthal variiert nun die bei Raimund episodenhaft angedeutete Suche nach dem der Wahrheit getreuen Mädchen in den Szenen, die nicht nur Sprache, Gebaren und psychologische Hintergründe des Menschenvolks in allen seinen gesellschaftlichen Schichten anschaulich zeichnet, sondern auch die innere Entwicklung des Menschen und Dichters Hofmannsthal selbst enthüllt: aufsteigend von romantischer wer-therhafter Sentimentalität, gemischt mit illusionistischer Naivität, zu jener realistischen Betrachtungs- und Gestaltungsweise, die Goethe gegenüber der Morbidität der romantischen als die gesunde angesehen hat. Es ist eine Entwicklung, die wir auch in der Hof-mannsthalschen dramatischen Kunst beobachten können, wenn wir die weiche Melancholie seiner früheren Dramen mit der klaren realistischen Unmittelbarkeit vergleichen, die etwa die religiöse Welt des „Jedermann“ oder des „Großen Welttheaters“ durchformt.

Schönwiese modifiziert die vierte Hof-mannsthalsche Szene, indem er Modestina als Stumme auftreten und dennoch als verlogen entlarven läßt, wodurch er die Hofmanns-thalsche Erfindung um eine reizvolle Nuance bereichert. Er schließt die Bilderfolge mit einer sechsten Szene: auf der Insel der Wahrheit und mit den Schlußbildern: Wald am Berg des Geisterkönigs — Ein grüner Berghügel beim Geisterkönig — aus dem Raimund-Stück ab. Die „Insel der Wahrheit“ mutet uns im Ethos ihrer Herren („Ich ärgere mich, man ärgere sich mit mir“) als eine Vorausnahme der totalitären Diktatur und ihre Travestierung an. Im Mädchen Amine, das der willkürliche Wahrheitspositivismus dieses Staates verurteilt, wird endlich die Gesuchte gefunden, um in den letzten (durch Schönwiese in ihrer Pointierung verstärkten und in ihrem Problemgehalt verdichteten) Szenen zu erkennen, daß die Wahrheit zwar nicht verleugnet, aber auch nicht platt, herzlos, sondern unserer menschlichen Situation entsprechend, schonend und aus dem Geist der Liebe verlautbart werden soll.

Die sorgfältig dramaturgisch bearbeitete und ergänzte Gestaltung des reizvollen Stoffes fand in einer von Dr. Schönwiese selbst im Studio des Salzburger Senders inszenierten Aufführung guten Besuch, Anerkennung und starken Beifall.

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