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Voß überspielt alle Schwächen

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Peter Turrini schenkte Claus Peymann zum Sechzigsten ein Stück, und Claus Peymann hat es sich schön eingepackt. Aber vielleicht hätte Turrini Peymann anrufen und ihm sagen sollen, daß das Geschenk nicht rechtzeitig fertig wird. Denn es ist evident, daß gerade „Endlich Schluß” nicht nur ein besserer,* sondern ein faszinierender Monolog hätte werden können und daß ein solcher gerade Turrini zuzutrauen wäre. Jammerschade, daß er den Grundeinfall nicht ausgereizt, daß er sich mit einem alles andere als aufregenden Ergebnis begnügte.

Warum soll ein Mann nicht auf der Bühne bis tausend zählen, bevor er sich erschießt? Lächerlich, sich darüber kritisch zu mokieren! Die Idee ist sogar sehr gut. Das Zählen gibt den letzten 100 Minuten des Mannes Struktur. Es macht erlebbar, wie die letzte Frist, die er sich gegeben hat, verrinnt. Und wenn Gert Voß zählt, entsteht der Rhythmus, den die Sprache dieses Textes leider schuldig bleibt. Gert Voß erweist sich als Virtuose des Zählens. Zählend schwankt er zwischen Euphorie und Angst, zählend läßt er den Lebenswillen mit der Todessehnsucht kämpfen.

Was den Regisseur Claus Peymann von vielen einfallsreichen Regisseuren unterscheidet, ist seine Fähigkeit und Bereitschaft zu lesen, die Worte des Autors ernst zu nehmen und genau das, was dieser geschrieben hat, zu inszenieren — wenn es gut ist. Turrinis nicht ganz fertiges Geburtstagsgeschenk hat, wie jedes schwache Stück, das einem bedeutenden Regisseur von befreundeter Seite zukommt, starke Züge eines Danaergeschenkes. Peymann wäre aber nicht Peymann, wüßte er sich nicht zu helfen. Was es sonst bei Gert Voß kaum gibt: Er flüstert und nuschelt, vor allem am Beginn, was das Zeug hält. So daß man zwar in großen Zügen kapiert, worum es geht, aber die Trivialität dieser Figur, ihre Unausgegoren-heit, nicht voll mitbekommt. Erstaunlich, aber wahr: Peymann und Voß erzeugen mittels der Beizwörter und Signale, die sich akustisch durchsetzen, jene Anteilnahme, die sich nach der Vorstellung, beim Lesen des Stücks, schnell verflüchtigt. Wer weiter hinten sitzt oder nicht besonders gut hört, ist diesmal am besten dran.

Vor dem finalen Schuß fällt ein Zwischenschuß. Er zerschlägt das Schallschutzfenster und zerreißt die schwarzen Vorhänge, hinter denen sich der Mann absperrt. Licht und Welt dringen ein. Entscheidender Moment. Wird er? Er wird.

Turrini erzählt eine Krankengeschichte. Aber durch sie schimmert nichts von der Krankheit der Welt. Woran dieses redende Individuum verzweifelt, das hat viel zu wenig mit dem zu tun, woran heute jedes denkende Individuum verzweifeln müßte. Dem Mann könnte wahrscheinlich geholfen werden, er zerbricht nicht an der Welt, sondern braucht Therapie, das ist das Traurigste, was man über so eine Symbolfigur sagen kann, die sich am Ende erschießt. Daran, was Thomas Bernhard sie hätte sagen lassen, darf man gar nicht denken.

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