Und die alten Meister leben noch

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Mit "Einfach kompliziert“ kehren vier Große des Theaters nach Wien zurück: Claus Peymann, Karl-Ernst Herrmann und Gert Voss gedenken Thomas Bernhards im Akademietheater.

Der vor 150 Jahren verstorbene Philosoph Arthur Schopenhauer sagte einmal, dass das Sterben einer jener Momente sein werde, in welchem dem Dahinscheidenden aufgehe, was es mit dem Leben (und dem Tod) auf sich habe. Thomas Bernhard, für den nach eigener Aussage die Lektüre von Schopenhauer viel bedeutet hat, beschreibt in "Einfach kompliziert“ wenn nicht den letzten so doch den vorletzten Moment vor der Auslöschung. In dem Stück, das er 1985 dem damals 80-jährigen Ausnahmeschauspieler Bernhard Minetti auf den Leib geschrieben hat, stellt Bernhard noch einmal eine monomanische, misanthropische Künstlerfigur vor, die, gefangen in ihren Innenwelten, in einem nicht enden wollenden Monolog die eigene Lebensgeschichte erinnert. Im Zentrum steht wie so oft auch hier die Frage nach dem Sinn des gelebten Lebens und nach der Zufälligkeit und Zwangsläufigkeit, nach der es abgelaufen ist.

Verbissener Kampf gegen das Alter

Wie schon in "Der Schein trügt“ (1983) zeigt Bernhard den Kampf des Künstlers als alter Mann gegen den Zerfall der Existenz, nur dass er in "Einfach kompliziert“ kein Gegenüber, keinen Gesprächspartner mehr hat. Ihm ist nur das kleine Mädchen geblieben - Katharina, das wie seine vor 20 Jahren an Meningitis gestorbene Frau heißt -, das ihm jeden Dienstag und Donnerstag Milch bringt, obwohl er sie nicht mag. Er ist vielmehr an der Gesellschaft des unschuldigen Mädchens interessiert, die ihm ob der grassierenden Dummheit der Erwachsenen sonst immer zuwider war.

Sonst passiert nicht mehr viel in diesem Leben. Der renitente Alte kämpft verbissen gegen das Alter und die innere Vereinsamung, überlegt hin und her, ob er noch einmal ausmalen solle oder nicht, und ist wild entschlossen sich der Mäuse zu entledigen, sei es mit dem Hammer oder Gift. Er hält sich mit der Lektüre Schopenhauers über Wasser, dem er sich verwandt fühlt. Wie dieser kompensiert er seine Erfolglosigkeit in der äußeren Welt mit der Intensität des philosophischen Innenlebens: ein Geistesmensch, ja, ein "Feinschmecker des Geistes“ sei er gewesen, die Diskrepanz zur äußeren Geltung erklärend. "Ich bin meinesgleichen.“ Jeden zweiten Dienstag im Monat macht er sich den Spaß und krönt sich noch einmal zu Richard III., den er in der Provinz in Duisburg einst spielte. Dann steht der Mime vor dem Spiegel, wie wenn er sich des eigenen Hierseins vergewissern wollte.

Claus Peymann, der seit 1970 16 von 20 Stücken Bernhards zur Uraufführung brachte, hat nach dessen Tod 1989 versichert, kein Stück des Verstorbenen mehr aufführen zu wollen. Man kann es nun als Glück bezeichnen, dass Peymann anlässlich des runden Geburtstags von "Einfach kompliziert“ sein Versprechen gebrochen hat.

Peymann hat Bernhards hochmusikalische Partitur "nur“ eingerichtet. Und das ist nicht wenig. Er geht keine neuen Wege in der Inszenierung von Bernhards Stücken, sondern hält in grandioser Zurückhaltung an Bewährtem fest: an Textgenauigkeit und puristischer Strenge. Und mit Gert Voss steht ihm ein wahrlich großer Schauspieler mit unvergleichlichen schauspielerischen Mitteln zur Verfügung, der den Vergleich mit Minetti nicht zu scheuen braucht. In weißem Hemd mit Fliege, zu großen schwarzen Hosen, unter denen rote Socken hervorlugen, wirkt er wie ein verzweifelter Clown. Während er bald mit Leichtigkeit über die Bühne tänzelt, bald geriatrische Leiden andeutet, nuschelt, grummelt und krächzt er Bernhards Sentenzen, immer begleitet von einer artistisch anmutenden Mimik.

Völlig verdiente Ovationen

Karl-Ernst Herrmann hat einen schäbig-schönen Raum nach den Vorgaben Bernhards geschaffen, mit subtilen, kaum merkbaren, sprechenden Details. Das "verwahrloste Zimmer“ in einem Halbrund mit Bett, Tisch und Stühlen, einer Truhe und einem Kühlschrank hat links eine zu kleine Tür, die das zerbrechliche Dasein des greisen Mimen gegen die als bedrohlich empfundene Außenwelt hin nur scheinbar öffnet. Auf der rechten Seite ist ein Fenster, durch dessen Lichteinfall Voss zu famosen Schattenspielen einlädt.

Die völlig verdient mit Ovationen begleitete Aufführung zeigt eindrücklich und auf vergnügliche Weise: Die alten Meister leben noch.

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