Zweiter dritter Richard

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"Richard III." : Claus Peymann macht sich selbst Konkurrenz.

Claus Peymann lässt kein Risiko aus. Vor mehr als 20 Jahren trat er an der Burg mit "Richard III." an. Es wurde einer seiner größten Wiener Triumphe und die Geburtsstunde eines Publikumslieblings, der sogar die habituelle Abneigung der Wiener gegen die Piefkes überwinden konnte: Gert Voss spielte die Titelrolle.

Jetzt hat Peymann das Stück noch einmal inszeniert, wiederum in der freien, aber modernen Übersetzung von Thomas Brasch, mit einem Schauspieler der Spitzenklasse, der allerdings weiter von Voss kaum entfernt sein könnte. Der Erinnerung an den nervösen, sich windenden und biegenden, zwischen geradezu körperlich fühlbarem Leid und grenzenlosem Hochmut balancierenden Richard des Gert Voss mit seinem charakteristisch nölenden Singsang in mittlerer Stimmlage steht der resolute Ernst Stötzner gegenüber, dessen sonoren Bass man seit vielen Jahren im Ohr hat.

Bösewicht schlechthin

Stötzner, jetzt rund zehn Jahre älter als Voss zur Zeit der Wiener Premiere, gehörte zur Stammtruppe von Peter Steins Schaubühne. Mehr noch als Voss wurde er mit politischem Theater identifiziert, auch Musiker, namentlich Heiner Goebbels, rekurrierten gerne auf ihn, wo es Texte zu sprechen gab. Er zählt jetzt zum Ensemble des Deutschen Theaters. Peymann muss also dezidiert auf ihn gesetzt haben, wenn er ihn ins benachbarte Berliner Ensemble einlud. Schließlich gibt es kaum einen Schauspieler, der, zu jung für den Lear, wenn nicht den Hamlet, dann wenigstens den dritten Richard gerne spielte. Er ist der Bösewicht schlechthin, die mörderische Kreatur, die, wie einst Voss, aus dem Gully gekrochen kam.

Ist er wirklich so anders, so ungewöhnlich, so unbegreiflich? Man nehme seine Morde als Metapher, erkläre sie, wenn man denn auf Realismus pocht, mit den Normen einer weit zurückliegenden Geschichte. Geht es jedoch darum, dass da einer mit allen Mitteln an die Macht kommen will, dass keine Scheu, keine Rücksicht, keine Moral ihn daran hindert, eine Position anzustreben, die andere ihm streitig machen: ist dieses Verhalten wirklich so weit entfernt von jenem unserer heutigen Politiker, Vereinsfunktionäre, Arbeitskollegen? Ist die Heirat einer Frau, deren Brüder man ermordet hat, nicht das verdichtete Abbild einer Koalition mit einer Partei, deren Mitglieder man (etwa in Österreich zwischen 1934 und 1938) verfolgte und umbrachte? Ist das Prinzip der Konkurrenz, deren Brutalität nur durch bestimmte historisch veränderbare Spielregeln eingeschränkt wird, nicht die Grundlage auch und gerade unseres heutigen Gesellschaftssystems? Was Richard III. von den Usurpatoren unserer Zeit unterscheidet und ihn nach wie vor faszinierend erscheinen lässt, ist seine Intelligenz, die erotische Ausstrahlung seines verunstalteten Körpers und seiner Skrupellosigkeit. Es ist sein starker Wille, der Bühnenfiguren wie Publikum in den Bann zieht. Denn auch der Wille zum Bösen siegt, nicht nur im Theater, meist über die Langeweile der Bravheit. Der Hohn über "Gutmenschen" und "Political Correctness" zeugt davon.

Unter Karikaturen

Stötzner, mit langem wirrem Haar, wo Voss mit rasiertem Nacken auftrat, zeigt uns keinen Psychopathen, sondern einen Intriganten, der genau weiß, was er will. Er ist, genau besehen, in Peymanns neuer Version der einzige Charakter inmitten von Karikaturen. Wie Tartuffe ohne den leichtgläubigen Orgon nicht denkbar ist, so beutet dieser Richard die Bestechlichkeit, die Feigheit und den Opportunismus seiner Umwelt aus, deren Bereitschaft, vom Leid anderer zu profitieren.

Aber es fehlt der Berliner Inszenierung der große Atem, die Faszination der Burgtheateraufführung, an die man nun wehmütig zurückdenkt. Wehmütig erinnert man sich an die Elisabeth der Kirsten Dene, an die Anna der Josefine Platt, und auch die große Ilse Ritter bleibt als Herzogin von York hinter ihren Möglichkeiten zurück. Selbst die als aggressive Zacke in den Zuschauerraum ragende fast leere Bühne von Karl-Ernst Herrmann mit dem unvermeidlichen Eiskasten wirkt erstaunlich uninspiriert. Szenenapplaus bei der Premiere allein für den Stilbruch: für Nicole Heesters als gespenstische Margret.

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