Gert Voss - Virtuose verlorener Utopien

Werbung
Werbung
Werbung

Knapp 28 Jahre hat der Schauspieler in Wien gelebt, große Rollen der Weltliteratur außergewöhnlich und unvergesslich gespielt. Ein Nachruf.

In "Ritter Dene Voss“ (1984) reizte Gert Voss die Bandbreite zwischen Genialität und Wahnsinn aus, in "Elisabeth II.“ redete er vergeblich um sein Leben, in "Einfach kompliziert“ begeisterte er in der feinen Gratwanderung, an der der Schauspieler zwischen Fiktion und Wirklichkeit balanciert: Virtuos lotete Gert Voss all seine Rollen bis an ihre Grenzen aus, wie kein anderer brachte er das emotionale sowie intellektuelle Universum der von ihm dargestellten Charaktere zum Schillern.

Thomas Bernhard notierte vor der Arbeit am Stück den Gedanken: "Ritter, Dene, Voss, intelligente Schauspieler“. Ilse Ritter hatte er in "Am Ziel“, Gert Voss und Kirsten Dene in der "Hermannsschlacht“ gesehen, der Titel gilt als Hommage an die drei Schauspieler, denen er gleichermaßen Intelligenz und Virtuosität attestierte.

Thomas Bernhard starb fünf Jahre nach der Entstehung des Stückes, 30 Jahre später reißt nun der Tod von Gert Voss eine weitere, tiefe, unersetzbare Lücke ins deutschsprachige Theater.

Knapp 28 Jahre hatte der Schauspieler mit seiner Frau, der Dramaturgin Ursula Voss, und der gemeinsamen Tochter Grischka in Wien gelebt. Mit der interimistischen Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann schmiedete er bereits Pläne für die kommende Saison. Letzten Sonntag starb Voss nach kurzer Krankheit im Alter von 72 Jahren. Sein Start in Wien 1986 war nicht leicht, als er zusammen mit Claus Peymann ans Burgtheater kam. Die Nagelprobe bedeutete sein "Richard III.,“ mit dem er 1987 das Publikum im Flug eroberte. Graziös gab er diesen humpelnden, buckeligen Machtmenschen, nicht feixend an der Bühnenrampe, sondern als einsamen Außenseiter, der sich ins Zentrum der Macht kämpft.

Den Schatten nachspüren

Die Theaterstadt Wien hatte einen neuen Publikumsliebling, und Gert Voss spielte alle großen Rollen der Weltliteratur. In Wien zählte seine Darstellung von Shakespeares "Othello“ (1990) zu den Sternstunden des Theaters (nicht zuletzt verband ihn mit Regisseur George Tabori eine besondere Beziehung - als Tabori starb, verfasste Voss zusammen mit seiner Frau den Nachruf für die FURCHE).

In der Regie von Peter Zadek reüssierte er 1988 als eiskalter Kapitalist Shylock in "Der Kaufmann von Venedig“, 1994 als Antonius (in "Antonius und Cleopatra“). 1992 überzeugte er als Marc Anton in Peter Steins Inszenierung von "Julius Cäsar“ bei den Salzburger Festspielen, und im gleichen Jahr als "Macbeth“ in Wien, sein "König Lear“ und der skrupellose Herzog in "Maß für Maß“ wurden zu seinen letzten großen Shakespeare-Erfolgen.

Diesen zutiefst komplexen Figuren begegnete Voss mit einem Gedanken des Meisterregisseurs Peter Brook, der ihm riet, den Schatten der Charaktere nachzuspüren. Mit diesem Bild vor Augen machte Voss aus den Shakespeare’schen Figuren heutige, moderne Menschen voller Liebe und Hass, Angst und Verzweiflung, Machtgier und Einsamkeit. Gerne spielte er gegen den Strich, suchte ungewohnte Zugänge, aus deren Differenz sich eine unwiderstehliche Bühnenerotik entwickelte und die neue Räume zur Identifizierung anboten. Voss lockte mehrere Generationen ins Theater, dem man längst das Ende prophezeit hatte.

Kongenial entfaltete er seine Suggestivkraft auch in der Darstellung der Tschechow’schen Menschen: In der Titelrolle von "Ivanov“ eröffnete er eine eigene Welt, die er als Trigorin in "Die Möwe“ verfeinerte (wofür er mit dem Nestroypreis ausgezeichnet wurde) und 2012 in "Onkel Wanja“ perfektionierte.

Voss’ Darstellungs-Repertoire war einzigartig und außergewöhnlich: Sein direktes, couragiertes Spiel, seine präzise, feine Gestik und Mimik, welche die inneren Abgründe der Figuren zu verschleiern suchen und diese gerade dadurch sichtbar werden lassen, machten aus jeder Figur einen lebendigen, vielschichtigen, stets berührenden Charakter.

Bernhard-Schauspieler

Mit feiner Klinge ist Voss auch Thomas Bernhards tragikomischen Protagonisten begegnet, die traurige, dann wieder grotesk-komische Aspekte zwischen Weltflucht, Menschenfeindlichkeit, neuen Hoffnungen und Ideale liefern. Die Selbstkrönung des alten Schauspielers in "Einfach kompliziert“ im Jahr 2011 lässt sich schließlich auch als Krönung einer Serie der von Gert Voss dargestellten Rollen interpretieren. Diese Liebesgeschichte auf die Schauspielkunst erzählt vom Tribut, den der "König der darstellenden Kunst“ an das reale Erleben zu zollen hat. Als Voss diesen Theaterverführer spielte, zeigte er seine eigenen Bühnen-Verführungskünste, die jede Vorstellung zu einem Ereignis werden ließen.

Wie kein anderer fächerte er die Dimensionen des Thomas Bernhard’schen Figurenuniversums auf, in "Elisabeth II.“ zeigte er etwa nicht bloß den übersteigerten Narzissmus des Großindustriellen Rudolf Herrenstein: Voss reflektierte in seinem Spiel die Utopien einer Generation mit, deren klare Haltung sich als Resultat jenes Faschismus versteht, der über das Ende totalitärer Regime hinaus wirkt und dessen Mechanismen in den Familien, Beziehungen, ja in der Identitätssuche des Einzelnen weiter leben bzw. sich darin abzeichnen. Voss verfügte über jene besonderen intuitiven und intellektuellen Fähigkeiten, aus dem Scheitern heraus Utopien aufblitzen zu lassen.

In diesem Sinne war Gert Voss ein politischer Schauspieler, der die Ideale seiner Generation, der aber auch deren künstlerische Anliegen in seinem Spiel bewusst mitschwingen ließ.

Bernhards Notiz "Ritter, Dene, Voss, intelligente Schauspieler“ meinte wohl auch jenes notwendige Können, Kalkül und die intellektuelle Auseinandersetzung, die Voss im Umgang mit der jeweiligen Rolle in die Waagschale warf. Er zählte zur politisch linken, deutschen Nachkriegsgeneration, die gesellschaftspolitische Utopien verfolgte, auch wenn diese - wie es Bernhard selbst formuliert - als paradox erscheinen. Und gerade diese Rhetorik des Paradoxen, die Akrobatik des dialektischen Denkens beherrschte Voss virtuos.

Er verstand es, Ambivalenzen sicht- und spürbar zu machen, das Banale neben das Außergewöhnliche zu stellen. Basale Bedürfnisse kontrastierte er mit intellektueller Reflexion und betonte dabei stets das Tragikomische, indem er die Fallhöhe seiner Charaktere aufzeigte.

Sein Ludwig Wittgenstein in "Ritter, Dene, Voss“ ist deutliches Beispiel dafür. Wegen eines Strangulierungsversuchs trägt er am Hals ein dickes Pflaster, das die Wunden schützt. Der Suizid ist vollkommen abzulehnen, betont Voss alias Ludwig, das Ausreizen der Grenzen keinesfalls.

Das Außergewöhnliche an Voss’ Spiel lag im feinen und komplizierten Schlittern am schmalen Grat zwischen Lebensflucht und gleichzeitiger Lebensgier, indem er den Sprachwelten eines Bernhard, Shakespeare, Tschechow, Schiller, Kleist oder Beckett einen durchlässigen, aber genau definierten Körper gab. Voss’ Darstellungskunst funktionierte ohne Camouflage, ohne Netz, immer verließ er sich auf die Sprache und die Angebote, die die Figuren(konstellationen) machten.

Beckett’sches Universum

Die Theaterreise, wie Voss seine Autobiografie "Ich bin kein Papagei. Gert Voss“ (styria 2011) untertitelte, führte ihn zwangsläufig auch ins Beckett’sche Universum. Bereits 1971 spielte er in Braunschweig den Clov im "Endspiel“, sieben Jahre später gab er in der Regie seines langjährigen Schauspielerpartners Ignaz Kirchner den Nagg und 1998 reüssierte er an der Seite von Kirchner in George Taboris Inszenierung von "Endspiel“. Es war Voss’ letzte Zusammenarbeit mit Tabori. "Fin de Partie“ wurde in Wien als Titel gewählt, der Titel sollte das Ende der Reise assoziieren, so beschrieb es Voss selbst.

Bedingungslos gab sich Voss Becketts komisch verzweifelten, erbärmlichen, mitleidigen Figuren hin. Auch als Krapp in Becketts "Das letzte Band“, den Voss 1999 im Theater in der Josefstadt spielte, suchte er jene Unsicherheit, aus welcher er sein Potential zog. "Die Insel der Helligkeit ist Krapps geistiger Bereich, und die Dunkelheit der animalische Bereich. Gegen die Dunkelheit hat Krapp immer gekämpft, aber letzten Endes findet er sich mit ihr ab“, so Voss. Mit dem Ende von Voss’ Theaterreise lässt es sich nicht abfinden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung