Ein König der Bühne

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Gert Voss, einer der ganz Großen des Theaters, feiert am 10. Oktober seinen 70. Geburtstag. Ein neu erschienenes Buch gibt Einblicke in die Laufbahn dieses Ausnahmedarstellers.

Die Spatzen pfeifen es von den Theaterdächern, dass einer der ganz Großen der Schauspielkunst demnächst, genauer: am 10. Oktober, seinen 70. Geburtstag feiert. "Naturgemäß“, wie einer seiner Lebensautoren gesagt hätte, tut er dieses dort, wo er seit mehr als 40 Jahren herrscht: auf der Bühne. Diesfalls ist es die Bühne des Burgtheaters, doch es könnte auch in Berlin sein. Oder in Stuttgart. Oder in Bochum. Oder in Salzburg. Denn in seinem Theaterkönigreich geht die Sonne nicht unter.

Natürlich war er der Mortimer und der Ferdinand und der Karl Moor, aber eben auch Richard III. und der Sultan Saladin und der Prospero und der Macbeth und der Lear; und selbstverständlich Faust und Mephisto und natürlich Marc Anton und Othello und Geßler und Wallenstein und Hermann; Hamm und Clov und Krapp und Firs und Trigorin und Ivanov und Solneß und Rosmer und Ludwig und Herrenstein und ach … Er spielte so vieles und so viele, und jedem schrieb er seine unverwechselbare, nur dieser Figur eigene Signatur ein.

Von der Sprechweise bis zur Körperhaltung, vom Gang bis zur bedingungslos sich nicht schonenden Haargestaltung - jede Figur (hier ist längst nicht mehr von Rolle zu sprechen) wird für die Stunden ihrer Bühnenexistenz mit einer Identität ausgestattet, um die sie die meisten Realen im Zuschauerraum beneiden würden; so reich und inventarisiert kommen sie daher. Sie leben im Gedächtnis, sie veralten nicht. Erstaunliche Filmdokumente lassen nachvollziehen, zu welcher Qualität der Menschendarstellung schon der junge Gert Voss gekommen ist.

Harte Arbeit ist das Geheimnis

Dieses Können beruht nicht nur auf Talent und Begabung, sondern mindestens ebenso auf harter Arbeit mit unbedingten, sich selbst am wenigsten schonenden Ansprüchen; auf seiner ungeheuren Disziplin; auf dem Glück, mit den wesentlichen Regisseuren seiner Zeit zusammenzuarbeiten, mit Zadek und Bondy, mit Peymann und Tabori, mit Stein und Ostermeier; auf dem immer wiederkehrenden Zusammenspiel mit ganz großen Schauspielern; auf der Neugier an der Gemeinsamkeit mit jungen, unbekannten Darstellern; auf der Lust an Literatur; auf dem Geschenk eines geglückten Lebens mit Ursula Voss; auf der Inspiration durch unablässiges Schauen und Die-Welt-Erfahren und -Finden und -Erfinden.

Gert Voss zeigt auf der Bühne und im Film viele Gesichter, viele Gestalten. Wie kaum ein anderer Schauspieler seiner Generation und weit darüber hinaus bekommt er vom Publikum wie von der Kritik das zu spüren, was Theater so schön und vielleicht sogar wichtig machen kann: Jubel und Betroffenheit, Verstehen, Begreifen. Und Ankommen. Ankommen mit den Interpretationen, und oft ist es, als hätte man das Stück noch nie gesehen, als hätte Shakespeare oder Kleist für ihn geschrieben - so wie es etwa Thomas Bernhard und Peter Turrini getan haben. Voss zeigt uns die Innensicht von Bühnenfiguren, er häutet sie und übernimmt ihren Schmerz, ihren Wahn, ihr Sehnen und ihr Hoffen, ihren Triumph und natürlich auch ihr Scheitern.

Zu seinem 70. Geburtstag hat Gert Voss nach gutem Brauch ein Fest ausgerichtet, eines, das sich getrost nach Hause tragen lässt. "Ich bin kein Papagei“ ist der Titel dieser autobiografischen Theaterreise, die er zusammen mit Ursula Voss verfasst hat. Eine Theaterreise, die im Geburtsort Shanghai mit die Eltern beängstigenden Nachahmungsversuchen der chinesischen Oper begann und im Schauspielstudium in München ihre Grundlagen erhielt. Vor dem späteren Erfolg standen auch für Gert Voss die Mühen der Provinz, die Qual der Minderleister-Regisseure, der ichbesessenen Lokalmatadorinnen, der Schmerz der kategorisch abwertenden Kritik. Schritt für Schritt ist er seinen Weg gegangen.

Zeit der Aufbrüche

Warum er "kein Papagei“ ist und wie komplex die Entfaltung einer solchen beispiellosen Schauspielerkarriere ist, das schildert er in diesem Buch, und es gelingt ihm, nie gehörte oder halb vergessene Inszenierungen so plastisch zu schildern, in diesem unverwechselbaren Voss-Ton, dass man unvermittelt vom Lesesessel ins Theaterparkett zu wechseln vermeint. Mancher Kollege, manche Kolleginnen mögen sich kränken, dass sie in diesem Buch nicht vorkommen, doch keiner muss traurig sein, darin genannt zu werden. Denn Voss gelingt es, anders als vielen Theatermenschen in ihren oft unerträglich egozentrischen Büchern, sich auch zurückzunehmen, eindringlich darzustellen, dass auch ein Star vom Zusammenspiel des Ensembles lebt, von der unbedingten Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen, zur gemeinsamen Kreation von Bühnensituation und Bühnenwesen. Es ist sicher keine Koketterie, nach so vielen Jahren immer noch die 70er- und 80er-Jahre in Stuttgart und Bochum als seine schönsten zu bezeichnen. Dort hat jeder alles gespielt, es war die Zeit der gemeinsamen Aufbrüche.

In diesem Buch zeigt er auch den Zweifel, an sich selbst, an den prinzipiellen Möglichkeiten des Gelingens; aber auch an Ortsentscheidungen, wenn man etwa liest, wie schwer es ihm theaterreaktionäre Teile des Wiener (nicht nur) Publikums gemacht haben, bis hin zu Morddrohungen und absurdesten Anfeindungen. Doch er hat aus der "Schangse“ etwas gemacht, und er hat sie alle überzeugt.

Zum Geburtstag dem Gert Voss alles Gute - und uns, dass er uns, das Publikum, auch weiterhin an seiner menschengestalterischen Neugier teilhaben lasse.

Warum das Theater kein Luxus ist

Wie kein anderer Schauspieler hat Gert Voss kontinuierlich in den letzten Jahrzehnten die deutschsprachigen Bühnen beherrscht. Als einziger wurde er sechsmal zum "Schauspieler des Jahres“ gewählt, von der Londoner Times als "Schauspieler des Jahrhunderts“ gewürdigt, er ist Träger jedes namhaften Theaterpreises, von Kainz-Medaille bis Nestroy-Preis, von Akademiemitgliedschaften bis zu staatlichen Auszeichnungen mit Ehrungen überhäuft.

Doch die Wahrheit erweist sich allabendlich im Theater … Berlin und Wien sind derzeit die Hauptspielstätten von Gert Voss, der mit seinem Buch "Ich bin kein Papagei“ nicht nur einen Einblick in die Seele eines Künstlers und in den Maschinenraum des Theaters bietet, sondern darüber hinaus auch erhellt, wie sehr das Theater, nur scheinbar Luxus, ein notwendiger Bestandteil unserer Gesellschaft ist. Solange es solche Schauspieler gibt … (R. D.)

"Ich bin kein Papagei“

Eine Theaterreise - Aufgezeichnet v. Ursula Voss

Von Gert Voss, Styria Premium 2011

305 Seiten, gebunden, € 24,99

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