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Auf lange Sicht

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So geht es nicht weiter. Im Gegenteil. Die große Schelmengeschichte von „Peter Voss, der Millionendieb“, die Peter Lo-dynski nach jahrelangen Dreharbeiten rund um den Globus fertiggestellt und die jetzt begonnen

hat, über unsere Bildschirme zu laufen, wird in jeder ihrer dreizehn Folgen neue Stilmittel einsetzen, wird uns durch Städte, Wüsten, Gebirge und durch die Parodie sämtlicher Klischees hetzen, die Film und Fernsehen zu bieten haben.

Denn das war Lodynskis großer Einfall: E. G. Seeligers 1914 geschriebenen Schelmenroman von den nicht vorhandenen und dennoch gestohlenen Millionen neu zu gestalten und in eine Folge von Kabarettszenen aufzulösen. Kabarett lebt von Parodie. Und so bot denn die erste Folge eine Parodie auf schweizerische Bürgerlichkeit und auf österreichisches Bauerntheater mit Löwinger-Effekten, beides ein wenig durchsetzt mit deutscher Gaunerromantik — aber so geht es eben nicht weiter. Da wird vielmehr neoenglischer Absurdhumor ebenso karikiert werden wie die französische Nouvelle vague und der italienische Neo-verismo, das Agentenklischee ebenso wie das Schema der Kommissar- und Tatortkrimis, die landläufigen Vorstellungen von südamerikanischer Putschdemokratie nicht weniger als die unvermeidlich gewordene Mafia-Schablone. Den unbestreitbaren Höhepunkt freilich wird (in der wievielten? ja, in der 11. Folge) die Dreharbeit an einem japanischen Samurai-Film mit Schwerterzischen, Karategeheul, Folter-' griffen, Zwitschermädchen und einem „Peter Voss“ als unfreiwilligem Stuntman bilden, man darf sich freuen. Das alles wird uns jetzt in FS 1 an jedem zweiten Freitag und, als Wiederholung, an jedem darauffolgenden Donnerstag über die Bildschirme ins Haus geschickt. Gewiß, jenen „Peter Voss“, den Schelmentypus, den Wolf Roth geradezu ideal verkörpert, den gibt es nicht und es hat ihn nie gegeben. Dennoch ist er als Typus so alt wie die Menschheit. Er wurde, in wechselnden Formen, immer aufs neue erfunden. Von den alten Griechen schon und dann erst recht von den Römern (man denke an „Satyrikon“), von Hans Sachs sowohl wie von Grimmelshausen, schließlich, in Europas vorläufig letzter genialer Epoche, in den beiden Jahrzehnten des Jugendstils von 1895 bis 1915, aus denen, als kaum beachtete Randerscheinung, auch „Peter Voss“, der nunmehr Fernsehverfilmte, stammt.

Stellen Sie sich das einmal vor: dreizehn Fünfzigminutensendun-gen, über die man sich nicht ärgern muß! Kaum zu glauben. Da versucht niemand, uns zum Marxismus-Leninismus zu bekehren, da beschimpft niemand unsere Vorfahren, da sind Bauern nicht dämonische Finsterlinge, Bürger sind nicht am defekten Zustand der Welt schuld, Aristokraten sind nicht bösartige Trottel von Geburts wegen, und Pluspunkte werden nicht ausschließlich nach der ausgewiesenen Zahl gewerkschaftlich organisierter Urgroßmütter vergeben. Da ist die Welt nicht nur ein Schlachthaus, sie ist auch, wie Verdi im „Falstaff“ feststellte, „burla“, eine einzige, unglaubliche, unaufhörliche Parodie ihrer selbst. Dies, und nichts anderes ist der Inhalt jedes Schelmenromans, auch des „Peter Voss“.

PS: Haben Sie schon der sympathischen Annemarie Berti zur „Goldenen Kamera“ gratuliert? Sie sollten das eigentlich tun.

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