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Was ist ein Happening

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WENN BEI DER ERÖFFNUNG einer Ausstellung Knallbonbons zerplatzen, spricht man von einem Happening. Wenn bei einer Party Weingläser an der Wand zerschellen, heißt es: Happening. Und Veranstaltungen sonstiger Art, gekennzeichnet durch eine gewisse individuelle Eigenart, werden als Happening deklariert. Was aber ist ein Happening nun wirklich?

Dem Happening mit einer Definition beizukommen gestaltet sich darum etwas schwierig, weil es davon zahllose Varianten gibt. „Happen“ heißt „geschehen“. „Happening“ bedeutet also so viel wie „Geschehnis“. Aktion und Bewegung spielen eine wesentliche Rolle. Ob es sich nun von der bildenden Kunst herleiten läßt und als „mobiles Kind der Popart“ verstanden wird, ob es sich auf das Theater beruft oder „Musik“ (welche besser mit „Geräusch“ übersetzt wird) als hauptsächliches Element betrachtet: sämtlichen Darstellungsmöglichkeiten ist eines gemeinsam: die sichtbare, hörbare und spürbare Bewegung. Und daraus resultierend: der bewußte Schock!

Die Anfänge des Happening reichen in die späten fünfziger Jahre. Damals hielt Allen Kaprow, welcher allgemein als „Altvater des Happening“ bezeichnet wird, in verschiedenen New Yorker Galerien derartige Demonstrationen ab. Ungefähr zur gleichen Zeit, aber unabhängig davon, trat Wolf Vostell, der Initiator des deutschen Happening mit ähnlichen Veranstaltungen auf den Plan. Und als im März 1963 die Wiener Maler Otto Mühl und Hermann Nitsch ihre ersten Happenings inszenierten, begann diese Erscheinungsform — auf breiterer Basis — einer technisierten und zivilisierten Epoche auch bei uns ihren Einzug zu halten.

WIE KANN SICH NUN EIN HAPPENING abspielen?

Eines der berühmt-berüchtigsten Happenings wurde von Wolf Vostell in Ulm veranstaltet. 250 erlebnishungrige Teilnehmer wurden in fünf Omnibusse verfrachtet und während einer siebenstündigen Fahrt mit allen möglichen und unmöglichen Spitzfindigkeiten bekannt gemacht. Da gab es einen „Flugplatz als Konzertsaal“, auf dem drei, in höchster Lautstärke donnernde Düsenjäger ein Platzkonzert veranstalteten. Eine Autowaschanlage, wo sich zwei Mädchen unter Wasserberieselung gegenseitig die Kleider vom Leibe rissen. Frauen mit Gasmasken, welche die Gäste in Kinderwagen die Betonpiste eines Parkhauses hinaufschoben. Ein „Freibad im Dunkeln“ mit Körpern, die in einem leeren Schwimmbassin lagen, während das Publikum mit Ku-Klux-Klan ähnlichen Kapuzen bedeckt am Rand des Beckens „es zittern die morschen Knochen" sang. Einen Klosterhof, durch den man mit klappernden Holzscheiten zu schreiten hatte. Eine Stehparty auf einem frisch gepflügten Acker mit einer Kerze in der Hand. Einen Schlachthof mit bereitgestelltem Festessen. Eine Sauna, worin im Wintermantel zu schwitzen war während eine Uhr immer lauter tickte und schließlich die Besichtigung eines drei Tage alten Kälbchens, da die zuvor in der „Donau-Zeitung“ aufgegebene Annonce „wo kalbt Kuh am 7. November“ keine entsprechende Zusage gefunden hatte. Das Ganze nannte sich: „In Ulm, um Ulm, und um Ulm herum“ und fand statt am 7. November 1964.

Aber nicht nur Deutschland — auch Österreich hat auf diesem Gebiet einiges aufzuwarten. Die Maler Mühl und Nitsch werden heute schon zu den Klassikern des Happening gerechnet. Ihre diesbezüglichen Aufführungen vom Jahre 1963 besitzen bereits historischen Wert. Und das düster-grausige Geschehen, welches sich damals unter einem 20 Mann starken Polizeischutz in Otto Mühls Maleratelier (ein Kellerraum in der Perinetgasse) abspielte, bildete nur den Auftakt zu zahlreichen Happenings, die in unserer ansonsten so traditionsbewußten Hauptstadt ihren Einzug hielten.

Im Gegensatz zu den deutschen Happenings, die sich eher am Theater und an der Literatur orientieren, wird das Wiener Happening stark von der Malerei beeinflußt.

Manche Happening-Experten wollen sogar Tiefenpsychologisches darin entdecken.

EINE KURZE REKONSTRUKTION eines der ersten Wiener Happenings im Jahre 1963: Otto Mühl zertrümmert mit einem Ziegelstein einen vor der Tür des Kellerlokals befindlichen Spiegel und gibt somit für die geladenen Gäste (etwa siebzig an der Zahl) den Eingang in den Raum frei. Dort erwartet das Publikum ein makabrer Anblick: vor einer weißen, gespannten Leinwand steht eine mit weißem Stoff überzogene Liegestätte, worauf der mit einem weißen Tuch bedeckte Maler Nitsch ruht. Vor ihm baumelt an einem Strick ein geschlachtetes Lamm. Daneben stehen mehrere Kübel, in denen sich die Eingeweide des Tieres befinden. Nitsch steht auf, nimmt die Eingeweide aus dem Kübel, wirft sie auf ein Tuch, zerreißt sie mit seinen Händen, zerkaut eine weiße Blume und speit diese auf die Eingeweide. Daraufhin schlägt er mit einem Mauerhaken auf das abgehäutete Lamm, daß das Blut gegen die gespannte Leinwand spritzt, legt sich auf das Bett, bedeckt sich mit den zerkleinerten Gedärmen, läßt sich mit einer roten, blutähnlichen Flüssigkeit überschütten und trinkt Wein dazu. Das alles geschieht zu dumpfen, monoton sich wiederholenden Rhythmen, welche einem Magnetophon entströmen.

Da auch den Hütern des Gesetzes jeder Appetit auf weitere derartige Szenen vergangen war, mußte die Veranstaltung vorzeitig polizeilich abgebrochen werden.

Die in jüngerer Zeit in der Galerie St. Stephan abgehaltenen Happenings sind harmloser Natur. Außer herumfliegenden Bettfedern und demolierten Gegenständen, die durchs Fenster auf die Straße segelten, wurde hier nichts bekannt.

NICHT UNBEDINGT VOM THEATER, der Literatur oder der bildenden Kunst muß sich ein Happening herleiten lassen. Es gibt auch Happenings, in denen der Musik die führende Rolle zugesprochen wird. Was hierbei oft an Kratz- und Zisch- tönen, unartikuliertem Gurgeln und krächzendem Japsen erzeugt wird, ist wohl eher geeignet, ein musikalisches Gehör zu beleidigen. Trotzdem jedoch müssen auch hierbei,

wenn auch lose gehandhabte Gesetze eingehalten werden. Wie beim improvisierten Jazz ist der Interpret von vorgefaßten Schemen frei und kann daher auf Reaktionen oder Anregungen aus dem Publikum ein- gehen, welches meist zur Mitarbeit aufgefordert wird.

Ein etwas fragwürdiges Unternehmen — zumindest, was die gewisse Gesetzmäßigkeit betrifft.

Welche Parolen werden nun von den Happening-Leuten ausgegeben und wie versuchen sie ihr Handeln zu motivieren?

• Ein Happening soll den Betrachter aus einer Lethargie reißen, in die er durch Gewöhnung oder Wiederholung irgendeines Vorganges verfällt. Es will die Selbsterkenntnis des Individuums, das sich von einer mechanischen und überperfekten Zivilisation bedroht sieht. Diese Bedrohung erkennt es vor allem in dem zunehmenden „Warencharakter“ der Welt. Und als wirksamstes Mittel, dagegen anzukämpfen, nennt es den kompromißlosen Schoęk.

• Aus diesem Grunde wird in einem Happening Zerstörung und Denaturierung bejaht. „Decollage“ ist die Urform des Happening. Plakate müssen zerr- und abgerissen, Gegenstände demoliert, Kleider verdreckt und das Publikum (oder umgekehrt die Akteure) mit Unrat beworfen werden. Exhibitionismus, Blut und Farborgien, Sadismus und das Herumwerfen mit Lebensmitteln sind Hauptbestandteile eines Happening. Durch Exzesse solcher und ähnlicher Art soll gegen die Alleinherrschaft der Produktion, gegen eine „Kulturindustrie“ angekämpft werden. „Destruktion ist die bewußte Zerstückelung von körpern, Vorstellungen, meinungen, institu-

tionen und denkmälern“ meint Otto Mühl (der sich auch „Omo super“ nennt). Durch Zerstörung soll das, was sich an von der Industrie produzierter Künstlichkeit ebenso wie an Mechanismen dazwischen stellt, ausgeschaltet, und ein unmittelbarer Kontakt mit der Welt, mit „Geschehnissen“ hergestellt werden. Die Zertrümmerung von Material soll verhindern, daß die Warenindustrie zur Bewußtseinsindustrie wird.

• Neben der Zerstörung von Gegenständen ist auch noch das Zerspren-

gen jeglicher Form ein Hauptanliegen des Happening. Die Relativität der Form soll damit deutlich gemacht, und gleichzeitig ad absurdum geführt werden. Sie wird als rein zufällig hingestellt — als Ergebnis von Intuition. Das Unerwartete, Improvisierte, Intuitive hingegen wird als Kern eines jeden Happening betrachtet. Und obwohl es in seinen Hauptzügen geplant ist, soll dem Unvorhergesehenen doch ein breiter Spielraum eingeräumt werden.

• Durch ein Zersprengen des rein Formalen will also das Happening dem, was es unter „Wirklichkeit“ versteht, Einlaß gewähren. Die Realität selbst soll zum Kunstwerk wer-

den. „Kunst ist gleich Leben, Leben ist gleich Kunst“ (Wolf Vostell). Materialien werden in das Kunstwerk miteinbezogen. „Die materialaktion ist über die bildfläche hinausgewachsene malerei“ (Otto Mühl). Damit zugleich aber wendet es sich gegen jedes Spezialistentum. Eine Durchdringung der Künste untereinander wird gefordert. Maler sollen dichten und Dichter malen und beide zusam-

men komponieren und Theater spielen. Oder umgekehrt.

HAPPENING-LEUTE WURDEN DIESEN VERSUCH einer Erklärung ad absurdum führen, bevor er überhaupt stattgefunden hat. Denn sie verneinen ja das Wort. Ein Wort — das könne so und so —, aber auch ganz anders ausgelegt werden. Die Aktion hingegen — die ist ein für allemal festgelegt.

Weil aber nun einmal die Sprache aus dem gesamten menschlichen Dasein nicht wegzuleugnen ist und weil sich nun einmal der homo sapiens als solcher eben dadurch vom unartikulierte Laute ausstoßenden Tier unterscheidet, soll die Erscheinung eines Happening, wie sie augenblicklich Furore macht, doch noch einer letzten und endgültigen Untersuchung unterzogen werden.

Vielleicht läßt sie sich am besten erklären als Reaktion. Auf Technik und Konsumwirtschaft. Und inso- ferne ist sie auch ernst zu nehmen. Das Problem: Kunst oder nicht Kunst ist schon etwas schwieriger zu behandeln. Denn obwohl Happening-Akteure das Wart Kunst — im überlieferten Sinne — ablehnen, berufen sie sich — in anders verstandenem Sinne — doch darauf. Kunst — in solchem und anderem Sinne — hat aber neben dem schöpferischen Prinzip (Frage: Inwieweit ist das Happening schöpferisch?) gewisse Formprinzipien notwendig. Bis zu welchem Grade solche im Ansatz vorhanden sind oder sich bereits herauskristallisiert haben, und ob überhaupt die Voraussetzungen dafür gegeben sind, muß Diskussionsthema bleiben. Bewußter Schock läuft sich bald tot. Es fragt sich also, ob das, was dahinter liegt, stark genug ist, um zu überdauern. Kunst, die sich auf Realität bezieht und darüber hinaus nichts Absolutes anerkennt, bleibt immer in der Materie, und damit im Ansatz stecken. Wenn Barbarei gezeigt wird, so ist sie damit noch nicht aus der Welt geschafft, sie kann bewußt werden. Das bleibt ein erster Schritt.

NOCH EIN HAAR IST IN DIESER Suppe zu finden: Ein programmatisches — enthemmt euch und bewegt euch frei, benehmt euch so, wie es euch gefällt, rollt euch auf der Erde, tanzt Strip-tease auf den Tischen und bespuckt euren lieben Nächsten, wenn es euch Spaß macht leugnet in dem Augenblick, in dem es zur Parole wird, schon wieder die Freiheit, die es verkündet. Sich auf Kommando zu enthemmen, wirkt ein bißchen sonderbar.

Wie dem auch sei: Kunst (die keine sein soll) hin, und Barbarei (welche die Menschheit bessern soll) her —, Happenings hat es schon immer gegeben. Denn: Das größte Happening ist das Leben! Verkünden die Anhänger des Happening.

Womit alles gesagt wäre.

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