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Abschiedsgesang eines Enttäuschten

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Auf überwachsenen Pfaden. Von Knut Hamsun. Festungsverlag, 1950 (Lizenzausgabe für Österreich mit Bewilligung des Paul-List-Verlages). 212 Selten

Das umstrittene Buch ist, das muß betont werden, keine politische Verteidigungsschrift. Wer etwa erwartet, Hamsun befasse sich darin mit Politik, der wird enttäuscht. Wer den Dichter Hamsun darin sucht, wird ihm, zwar blasser und müder als in früheren Wer-kn, dennoch leicht wieder begegen. Es ist das Buch eines alten Mannes, Lava eines ausgebrannten Vulkans. Mit Wehmut spricht es auf diesen kalten Seiten von der Resignation eines dem Tagesgetriebe längst Entwachsenen, den man mit schauerlicher Ironie vor seine Scherbenrichter gestellt hat, die der Greis kaum noch größerer Aufmerksamkeit würdigt. So heißt es am Schluß: Heute hat das oberste Gericht sein Urteil gesprochen, und ich beende meine Aufzeichnungen.“ Kein Wort mehr über diese bedeutsame Tatsache im Leben eines Menschen. Ich wüßte kaum ein anderes Buch, das die niemals zu vereinbarende Diskrepanz zwischen der Welt der dichterischen Träume und der Politik auffälliger macht. Von vielem ist hier die Rede: von der ewigen Schönheit der Welt und dem Glück zu leben. Von heimlicher Verachtung der heißest begehrten Dinge, wie Reichtum und Luxus; von der nie rastenden Veränderlichkeit alles Lebendigen, das nicht Dauer haben kann. Noch immer ist es die herrliche Erfülltheit von Fabulieren und Wunder und Traum, die er zu preisen weiß. Die einfachsten Dinge gewinnen ein bedeutsames Sein und lassen aus den heimlichsten Falten ihrer Kleider die verzaubertsten Dinge sehen, wie dies nur Hamsun darstellen kann. Der Satz: „Doch laßt uns, weil wir enttäuscht sind, nicht tragisch werden; das ist es nicht wert“, paßt auf das ganze Buch. Ein Enttäuschter, der aber dennoch keine Veranlassung zur Tragik sieht, spricht hier, der noch dazu betont, daß er keinem Pessimismus das Wort redet. Ja, das interessiert an dem merkwürigen, etwas zerflatternden Buch, daß es ein zwar altes, aber starkes Herz geschrieben hat, dem es unter so viel Lebensironie die Mühe wert ist, hier noch einmal einen Lobgesang auf das Heimatgefühl anzustimmen. Er tut dies in einer Szene, in dar ein Allerweltskerl, ein „Ubi bene ibi patria“-Mensch einem Russen gegenübergestellt wird, der in der Fremde bei dem Gedanken, wie es wohl in seinem geliebten Heimatland aussehen möge, in Tränen ausbricht. Alte, überwachsene Pfade der Erinnerung geht hier der Dichter, umwoben von jener Unnennbarkeit, die aller beschwörenden Dichtung eigen ist.

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