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Rehabilitierung Knut Hamsuns in Norwegen

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Am 4. August 1959 jährte sich Knut Hamsuns 100. Geburtstag, und dieser Tag war offenbar schon seit langer Zeit dazu ausersehen, die norwegische Öffentlichkeit wieder mit ihm zu versöhnen. Kein anderer Dichter des Landes, der so ausgesprochen nationale Züge aufweist, hat sich ja in ähnliche politische Abenteuer begeben und auch ein ähnliches Schicksal der Verwerfung erfahren wie er. Aber schon bald nach 1945 hat man den Verlust eingesehen, den man sich selber zufügt, wenn man Hamsun boykottiert und der Vergessenheit übergibt, und hat wieder begonnen, seine Bücher zu lesen. Diese Versuche, Hamsun in seine Rechte als Dichter einzusetzen, waren allerdings zufällig und lassen sich nicht mit der geschlossenen Front vergleichen, womit man jetzt für seine literarische Rehabilitierung eintritt.

In ganz Skandinavien kehrt man also wieder zu ihm zurück, das heifjt: zum Hamsun v o r der Okkupation Norwegens, zu dem noch nicht politisch festgelegten und verunglückten, sondern zu dem grofjen Dichter, der er trotz seiner Entgleisungen bleibt. „Gyldendal Norsk Forlag“ annonciert mit einer Riesenphofographie, die Hamsun mit Hut, Stock und Pfeife zeigt, die Jubiläumsausgabe, deren erster Band schon erschienen ist, und andere Liebhaberausgaben. Die Universitätsbibliothek Oslos veranstaltet eine repräsentative Ausstellung. Und die Zeitungen bringen Huldigungsartikel. Die Befürchtung, dafj der Name Hamsuns für immer beschädigt sei, erweist sich seit seinem 100. Geburtstag als hinfällig. Das Gegenteil ist der Fall. Wieder wird es Norwegen, dem Norden der Welt, bewuhf, dafj Knut Hamsuns Werk der Weltliteratur angehört.

Dafj man endlich von den alten politischen Ressentiments als überwältigendem Faktor der Beurteilung Hamsuns abrückt, ist nur zu begrüben. Aber die Art, wie man ihn jetzt purifizierf, scheint etwas zu gut gemeint. Man macht ihn sozusagen klassisch, zieht allzu eifrig Konturen um eine Gestalf, die sich nie fixieren lieh, und es entsteht deshalb die Frage, wie der eigenwillige Dichter selber zur Vergoldung seines Bildes Stellung nähme. Würde er nicht einiges gegen seine neuen Rekommendaforen einzuwenden haben? So schreibt Olof Lagerkranfz in „Dagens Nyhefer“: „Man hat den Versuch unternommen, die Ideen in seinen Büchern aufzuspüren, die ihn in die Arme des Nazismus fallen liehen. Das ist Unsinn. Seine ,Ideen' sind Papageiengeplapper und hängen nur lose mit dem Zentralen seiner Verfasserschaff zusammen. Er hat sich nie die Mühe gegeben, sie zu überprüfen.“

Es ist natürlich richtig, den Dichter in Hamsun isolieren zu wollen. Aber mit einer nonchalanten Geste einfach seine letzte Entwicklung, die sich über mehrere Jahre erstreckt, zu streichen, jeden Zusammenhang zwischen ihr und seinem Werk zu leugnen, seine Ideen unter Anführungszeichen zu setzen und sie als „Papageiengeplapper“ ab-zutun, scheint ebenso einseifig wie die umgekehrte Reaktion, doktrinär auf diesen Ideen zu beharren und Hamsun aus Ressentimentgründen nur auf seine letzte politische Zeit zu reduzieren. Man retfet eine Dichtung nicht, wenn man Handlungen ihres Schöpfers negligiert und den Dichter allein als solchen gelten läfjf, ihn aber — wie in diesem Fall — für die Darstellung von Ideen als unkompetent oder senil unzurechnungsfähig erklärt. Grofje Dichtung bleibt immer an Ideen gebunden, wenn diese auch nicht tendenziös ausgesprochen werden, sondern in reine Gestaltung eingehen. Es ist deshalb gar nicht wahr, Hamsuns Ideen als bedeutungslos zu erklären. Sein ganzes Werk repräsentiert eine Idee, nämlich die des fötalen Individualismus, und das Versteckenspiel des Ich, das er mit dem Leser treibt und womit er diesen fasziniert, ist die Art, wie er in hunderten Variationen die Freiheit seines Ich kundgibt. Ohne Zweifel finden sich Zusammenhänge zwischen seinem frühen Schaffen und seiner späten Epoche: sein konsequenter Antizivilisationismus kann als Brücke gelten. Dafj er dabei zu Fehlschlüssen kam, ist eine andere Sache. Das Wesentliche des tragischen Falles besteht v&ä'&'iBuW sein.JMafe iQfliyHÄK5 ihn die Falle * Nazismus geraten lief*. Diese Beziehung.nicht wahrhaben zu wollelr oder zu-vertuschen, macht die Saara •

N?s?fviP?ch wird d,.n, ,spezifis,ch?fi5 Vorauisetiungen des Dichte* .gerectt jnodtot* gibt sie eserschatf das vertrauen zu ihm“ “zurück? Man sollte ruhig die Tatsache“ anerkennen, dafj Hamsun das Opfer der Mächte geworden ist, die er beschworen hat. Die Selbsterfülliheit des Individuums führte ihn, wie so oft andere, in die Sphäre des Anti-Humanen, Wenn eine Erfahrung aus der Geschichte der letzten Jahrzehnte gezogen werden kann, so ist es gerade diese, die jetzt, bei der versuchten Rehabilitierung Hamsuns, übersehen wird.

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Auch die Ausstellung der Universitätsbibliothek Oslos, wo zum erstenmal eine Sammlung von Photographien, Manuskripten, Büchern, Briefen des Dichfers vorliegt, bringt nichts von der inkriminierten Epoche. Hier ist die Vermeidung alles Anstöfjlgen indes begreiflich: sie geschieht aus Takt für den Besucher, der immer noch nicht über die Tage der Okkupation hinwegkommt.

In diesem Sinn hat man hier das Material mit wirklichem Geschick behandelt: die literarhistorischen und bibliophilen Raritäten sind gewürzt mit den skurrilen, immer originellen Einfällen des Mannes, der mit Charlie Chaplin nicht wenige Analogien zeigt. Grofje Kalenderblätter aus den Jahren 1928 und 1929 liegen hier unter Glas, deren Rückseiten trotz der schwarz durchschlagenden Ziffer des Tages den Dichter zu Entwürfen zu „August“ verlockt haben. Man trifft auch Originalmanuskripte an, deren aufgeschlagene Seiten denen der daneben liegenden Bücher entsprechen: berühmte Romane, wie „Das letzte Kapitel“ oder „Landstreicher“ oder „Benoni“. Man findet auch den hübschen braunen Pappband von „Pan“ in der Fischerbibliothek und den lichtgrünen Leinenband mit der schwarzen Schachbreltleiste von Albert Langen in München.

Auffallenderweise spielen Fragebögen, die von verschiedenen Seiten an Hamsun gerichtet wurden, in dieser Ausstellung eine Favoritrolle. Man könnte vermuten, dafj ein solches Formular als Ausdruck kollektiven Verfahrens Hamsuns Abscheu erweckte. Aber erstaunlicherweise ist das Gegenteil der Fall. Er übergab es nicht dem Papierkorb, sondern machte sich alle Mühe, es eingehend zu beantworten. Es gibt in dieser Ausstellung nicht weniger als drei Beispiele davon.

So schreibt er 1913 auf die Anfrage des Guttemplerordens:

„Ob ich Naturfreund bin? Ein bihchen Nafürgefühl habe ich natürlich. Und doch möchte ich, wenn nicht aus anderen Gründen, gesagt haben, dafj sie (die Natur) die erste Religion war und die letzte sein wird. Alles andere ist blofj theologische Versorgung.“ Hamsun als Rousseauan tritt einem hier entgegen.

Zweiundzwanzig Jahre später wenden sich die Guttempler wieder an ihn. Auf die Frage, ob er sich während der Arbeit des Alkohols enthalte, antwortet er: „Ja, durchaus. Ich kann nicht arbeiten, wenn ich nur einen halben Liter Bier im Kopf habe.“ Bezüglich des Rausches schreibt er: „Was mich betrifft, ist der Rausch entbehrlich, unerwünscht, schädlich.“ Was meinen Sie über die Wirkung des Alkohols auf die literarische Arbeit? „Weifj nichts darüber“, lautet die lakonische Antwort des Nobelpreisträgers.

Noch ein Fragebogen von „Celebrities of the Times“ wendet sich an ihn — 1920 —, weil man Prominente in einem besonderen Kalender herausgeben möchte. Der Frageraum Nr. 8, wo man sich nach seiner Mitgliedschaft in literarischen Klubs erkundigt, bleibt natürlich leer. In Rubrik 9 wünscht man Auskunft über erhaltene Ausbildung. Hamsun: „Keine.“ Die letzte Frage Nr. 10, die den Angaben über die Karriere gewidmet ist, wird von ihm sehr ausführlich behandelt. Er schreibt: „Schullehrer, Weoarbeüer, Handlungsgehilfe und Postöffner in Norwegen. Erdarbeiter, Strahenbahnkondukteur, Handlungsgehilfe und zufällig Vorfragender in Amerika. Gegenwärtige Beschäftigung: Bauer. In Zukunft: Bauer.“

Derselbe mit dem Publikum spielende und dabei ihm entwischende Hamsun, d r damit die grofje Faszination auf den Leser ausübt, tritt uns hier aus den Schaukästen entgegen. Ein Manuskriptheff aus früher Zeif enthält Bläfter eines Vortrags über Sfrind-berg. „Er (Strindberg) is grofj“, schreib er am 10. November 1890, „ein streitbares Talent, und dem grofjen Talent soll man viele Irrtümer verzeihen.“

Diesen Rat nimmt der Besucher der Ausstellung mit sich. Er hat unmittelbar Gelegenheit, ihn zu beherzigen.

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