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Rechtfertigung oder Anklage?

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Wir sehen sie noch und wieder vor uns, als vor dem Industriehause am Schwarzenbergplatz die Lichter seit einem Jahre ausgelöscht waren wie in ganz Europa. Die damals schon nicht mehr junge Frau im Vortragssaal, aus ihren Langerudkindern lesend — und in Gedanken mehr als 1200 Kilometer entfernt, in Nörholm, von wo, trotz der Kriegsverhältnisse, täglich ein Brief von Knut Hamsun kam. So ist es zu verstehen, daß im Vorworte steht: „... vor meinem verschleierten Blick vereinen sich die bunten Farben des Lebens zu einem Regenbogen und strahlen über einen einzigen Namen — Knut Hamsun.“

Nun hat sie, während der letzten zwei Lebensjahre ihres Mannes, dessen zweite Frau sie mehr als vier Jahrzehnte gewesen, ihre Lebenserinnerungen geschrieben: von der Kinderzeit, entbehrungsvollen Jahren in der Landwirtschaft, als kleine Viehhüterin, Stallwärterin daheim, Mittelschülerin, Lehrerin, Schauspielerin — bis ans bittere Ende, bis zum Dienstag, den 19. Februar 1952, da Hamsun starb. „Ich konnte ihn ... nie mit den Begriffen Zeit und Ort in Verbindung bringen“, schreibt sie. Es ist merkwürdig genug, daß bei der Schilderung der wetterreichen Jahre, bei den uns in reicher Zahl mitgeteilten Briefen Hamsuns an seine Frau, er wie ein Bildnis Münchs vor uns steht und man den ruhelosen Wanderer Strindberg räsonieren hört. Eine bis zum Springen angespannte Feder, von den Umständen des Ortes bis ans Mystische entrückt und sich entrückend, von der Kultur, ihren Gegebenheiten und Bedingnissen bedrückt, ja voll tiefen Verdachtes gegen ihre Erscheinungsformen: Hamsun, der (auch) fürs Theater schreibt und den Schauspielerberuf haßt, zum Ursprünglichen, Natürlichen, zum Grundphänomen hinstrebt,' obschon er als Künstler von diesem weg zum Gestalteten, Geglätteten, ..um Differenzierten arbeitend, einem Baumeister gleicht, der am liebsten die Marmorsäule aufrauhen möchte, um den Stein wieder zu erblicken, aus dem sie gehauen.

Die Jahre der Ehe — zugleich auch die des Aufstieges Hamsuns — offenbaren sich in den, das sei betont, von Effekthascherei und Sensationssucht fernhaltenden Ausführungen als keineswegs leicht, wie das zu sein pflegt, wenn zwei ausgesprochene Persönlichkeiten aneinander geraten. Marie hat Knut mit ihrem Wesen viel bedeutet und viel — freilich ganz innerlich — zu schenken vermocht; und anderseits mag die schriftstellerisch seit Jugendtagen Begabte manche Ermunterung des Dichters empfangen haben Wenn wir genau zusehen und horchen, dann gewinnen die sieben Farben des Regenbogens Töne, von den hellsten bis dorthin, wo das Dunkelviolett in die Nacht mündet — es sind Töne von solcher weiblicher, mütterlicher Innigkeit, wie man sie selten zu hören bekommt in unserer dem Gefühl entfliehenden Zeit und sie darum nicht vergißt. Das Buch müßte allerdings keine Frau geschrieben haben, wäre es anders. Aber noch etwas Mütterliches klingt mit. In den Rückblendungen, wenn die Handlung plötzlich auf den Zustand springt, den die bekannten Ereignisse in Norwegen hervorriefen; in den Vorschauen, wenn der Greis, vom Gehör- und Gesichtssinn verlassen, nur auf eines wartet: auf den Tod — da gibt es nirgendwo Rechtfertigung, nirgendwo Anklage — nur die leidenschaftslose Hingabe an das Miteinandersein der Herzen.

Als Frau Hamsun in Wien weilte, hat sich das hiesige Kontor der Nordischen Gesellschaft, deren Hauptstelle Lübeck war, sehr für diese Frau eingesetzt. Als im Vorjahre die gleiche Frau nach Lübeck kam, verweigerte die Stadt den großen, zur Lesung vorgesehenen Saal — wie es heißt auf Befürwortung der zuständigen Kultursenatorenstelle, die — von einer Frau geleitet wurde.

Nichts bezeugt so sehr die Gegenwart des unseligen Gewitters, vor dem der Regenbogen steht. Und nichts mahnt uns mehr zu jener geläuterten Weisheit, die aus den Seiten eines durchaus unüblichen Buches strahlt und die Worte eines Gedichtes von Hamsun erfüllt: „Seid demütig doch!“

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