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Wanderer auf überwachsenen Pfaden

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Diese zum hundertsten Geburtstag erscheinende Ausgabe macht noch einmal deutlich, was Hamsun in der Entwicklung der Weltliteratur bedeutet bat, bedeutet und bedeuten wird. Wenn man den Namen des Mannes, der, bevor er Bücher schrieb, Knud Pedersen hieß, und nur durch einen Druckfehler (er hatte Hamsund gewählt) schließlich als Hamsun vor die überraschte Welt trat, heute ausspricht, kann man in acht von zehn Fällen hören: Ach, der diese Geschichten tait der Politik hatte, den man in seiner Heimat einsperrte und psychiatrierte! Nun gleich vorweg: Hamsun war kein Politiker. Dichter haben kein Glück, wenn sie sich in Staatsangelegenheiten mengen (das haben wir auch in Oesterreich erlebt). Oeffentliche Angelegenheiten verzehren den Menschen. Das hat schon der alte Goethe zu Eckermann über Uhland bemerkt. „Geben Sie acht, der Politiker wird den Poeten aufzehren … in täglichen Reibungen und Aufregungen leben ist keine Sache für die zarte Natur eines Dichters.”

Die Stellungnahme Hamsuns 1940 stand am Ende eines Lebens voll reichem Dichtertum. Vor der Wand des abziehenden Gewitters leuchtet heute doch ein Regenbogen. Wir dürfen nicht die Zeit vergessen, in die der Mann, der vor sieben Jahren beinahe ertaubt und halbblind von der Erde ging, an die er sein Herz gehängt hat, hineingeboren war. Er war kaum dreißig Jahre alt, als Strindberg „Fräulein Julie” und „Die Bauern auf Hemsö” schrieb; als Jonas Lie „Maisa Jons” herausgab. Björnson erntete den ersten Ruhm mit seinen Bauerngeschichten kurz nach der Jahrhundertwende, L. A. Nordstrom lebte zeitweilig als Fischer an der nordländischen Küste, C. A. Englund schreibt von den schwedischen Waldarbeitern und dem Geheimnis der weiten Forste, und A. L. J. Engstrom berichtet aus dem Leben der einfachen Leute. 1882 ist Ibsens „Volksfeind”, vier Jahre später „Rosmersholm” da. In Deutschland finden die Skandinavier — Dichter, Maler, Philosophen, Gelehrte — die Weife der Resonanz, die auch den Russen zuteil wurde. Die Jahrhundertwende — nach der „Revolution der Literatur” — sieht den Gegensatz der Industrialisierung, der wachsenden soziologischen Unterscheidung. Das patriarchalische Bauerntum geht unter. Die Menschen berauschen sich am technischen Fortschritt und schaudern zugleich vor seinen Folgen, möchten die plötzlich so laut gewordene Welt mit rosaroten oder himmelblauen Idyllen vertauschen — siehe die’damalige Massenliteratur der Deutschen und ihrer Wochenblätter.

Da steht noch einmal — und wer weiß, ob es in dieser Hinsicht nicht zum letztenmal war — ein Mann auf, in dem diese Widersprüche ringen, der einen Wald’ pflanzen möchte, denn er allein wäre Vermächtnis’ an die Folgenden. Ein Mann, dessen Naturgefühl heute, in der Zeit der Talsperren und Transformatorenleitungen, wie eine Saga anmutet. Ein Mann, dessen Romane, Erzählungen und Lyrik typisch norwegisch in der Umweltschilderung, dem knorrigen Humor, der weisen Philosophie des Darüberstehens, und in der Charakteristik der Menschen sind.

Die vorliegende Ausgabe bringt im ersten Band: Fechters Geleitwort, „Hunger”, „Mysterien”, „Redakteur Lynge”, „Neue Erde”, „Pan”, „Victoria” und „Schwärmer”. Im zweiten Band stehen: „Benoni”, „Rösa”, „Unter Herbststernen”, „Gedämpftes Saiten- spiel”, „Die letzte Freude” und „Segen der Erde”. Im dritten Band finden wir: „Kinder ihrer Zeit”, „Die Stadt Segelfoß”, „Die Weiber am Brunnen”; im vierten Band „Landstreicher”, „August Weltumsegler”, „Nach Jahr und Tag”. Im letzten Band sind zusammengestellt: „Das letzte Kapitel”, „Der Ring schließt sich”, „Auf überwachsenen Pfaden” und die Erzählungen in drei Teilen mit mehr als dreißig Geschichten. Mit achtzehn Jahren hat Hamsun sein erstes, mit neunzig sein letztes Werk geschrieben. Nun liegt die Ernte dieses Lebens vor uns, ein zweiter Skalde Egil Skallagrimsson redet aus tausenden Seiten in einer Sprache, die jeder versteht, der das Blätterrauschen des Waldes, das Glitzern des Taues im Heidekraut, das Summen der Bienen, das Brausen der Wasser, den Duft gebrochener Erde und entrindeten Holzes, das Knarren der Boote am Landungssteg versteht, und den weißen Wolken im hellblauen Himmel nachsieht, als wären es Schwäne.

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